Brenntage - Roman
verlieren, behauptete die Zeitung, und wer kann schon ohneEhre leben, aber Journalisten wussten gern alles besser, und ich kannte eine Menge Leute, die ohne Ehre ganz gut zurechtkamen und die (hier in der Siedlung) sogar Besitztümer anhäuften, der Onkel nannte sie Hehler und Huren.
Erst der persönliche Kontakt zu einem Gewehr bringt die Kugel ins Ziel
, wusste mein Onkel,
nur das Wissen (nicht das Töten) unterscheidet uns von den Tieren.
Das Gewehr hielt ich zunächst in die Luft, es wies den Vögeln den Weg zum Himmel, und dann zeigte es auf die Bäume und zum Grund des Weihers, zu längst vergessenen Knochen und Gräten. Wenn die Soldaten jemanden anvisierten, hatten sie vielleicht auch keine Vorstellung davon, was sie taten, so wie ich. Sie suchten sich ein Ziel, das jemand für sie auswählte, der möglicherweise (wie ich) noch nie zuvor ein Gewehr in der Hand gehalten hatte, und was für eine Wahl war das schon.
Ziele auf den Eichelhäher
, summte der Onkel, er sang sich irgendein Lied, aber genau das habe ich verstanden, also visierte ich an, krümmte den Abzug und hielt meinen Mund, kein Schuss löste sich.
Du bist noch nicht so weit,
sagte der Onkel,
und getroffen hättest du auch nicht (wie so mancher Soldat), und vergiss nie zu prüfen, ob sich tatsächlich eine Kugel im Lauf befindet, es könnte sich irgendwann als nützlich erweisen.
Ich atmete tief durch, Eichelhäher und Elstern waren mir schließlich die liebsten Vögel im Wald, und ich konnte es mir damals nicht verkneifen, einen Moment lang glücklich zu sein.
IV. Bei den Schatten
Mutter schrieb mir an diesem Tag (als ich und der Onkel nach Hause zurückkehrten, lag der Brief auf dem Küchentisch), sie kam auch gleich zur Sache …
Mein Lieber, noch bist du jung, und die Welt scheint Dir fassbar, noch bist Du nicht alt genug für manchen meiner Gedanken, zeig diese Zeilen keinesfalls meinem Bruder und träume schön in der Nacht!
Es schien mir damals mehr als seltsam, den Onkel Bruder zu nennen, auch wenn ich natürlich wusste, was sie meinte … In der Siedlung gab es jede Menge Brüderpaare, sie gingen bisweilen im Bösen, manchmal auch im Guten auseinander, und oft genug lebten sie im selben Haus (mit ihren Frauen) und aßen vom selben Teller. Einige von uns Kindern pflegten natürlich Blutsbrüderschaften, wenn es die Umstände zuließen und sich beide Seiten Vorteile versprachen, manche handelten aber auch nur mutwillig und gegen ihre Überzeugung. Die Kinder unserer Siedlung hatten allesamt ihre «Überzeugungen», da unterschieden sie sich keinesfalls von den Erwachsenen, sie lebten diese, soweit es ging, ohne Rücksicht auf Verluste. Die einen aßen kein Fleisch, und andere gingen nie Schwimmen, manche trugen das ganze Jahr über rote Halstücher, und einige sprachen vormittags kein einziges Wort (so gesehen war jeder auf sich allein gestellt). Ein paar Burschen spielten gern mit spitzen Messern, ein paar Mädchen schoren sich die Haare und verbrachten zu viel Zeit im Wald, wo doch keiner wissen durfte, was sie dort trieben und mit wem. Die Reichen luden zu Familienabenden, und die Armen balgten sich den Sommer über in Hinterhöfen, es gab Würfelspiele und Hahnenkämpfe, aber kaum ein freundliches Wort. Die Bösen schnitten das Brot auf, mit gezackten Messern teilten sie die noch warmen Laibe, und die Guten brachen sie mitihren Händen (entzwei) und steckten sich die noch warmen Krümel in den Mund.
Ich selbst besaß keinen Blutsbruder … Ein paarmal war es mir angeboten worden, aber irgendwie entsprach es nicht meinen Vorstellungen, mich an andere zu binden, und oft genug hielten diese Schwüre doch kein einziges Jahr. Der Onkel erzählte mir, Soldaten und Jäger seien sich oft verbunden, wenn sie einander das Leben retten oder irgendetwas gemeinsam durchleiden,
sie sind dann wie Brüder
, sagte der Onkel,
weil sie gar keine Wahl haben und einer dem anderen den Rücken frei hält und der andere schießt, und der eine lädt und hält Ausschau und schläft niemals ein, weil auf einen Bruder Verlass sein muss.
Manchmal kamen fremde Soldaten und Jäger fast bis in unsere Siedlung, sie trugen verschlissene Uniformen oder abgewetzte Loden, und oft waren sie die besseren Männer, weil sie uneigennützig handelten und sich (aus Überzeugung) für jene einsetzten, die gar keine Wahl hatten. Mein Onkel wollte es vielleicht auch nur zu gern glauben, vielleicht erinnerten ihn die umherstreifenden Gestalten an Seefahrer oder
Weitere Kostenlose Bücher