Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
Mädchen, weil ihnen zu heiß war oder der Vater früher nach Hause kam.
Es gibt das Böse,
sagte der Onkel,
und es gibt uns, die keine Fragen stellen, die ihr Auskommen finden, weil sie ihre Nasen unter keine fremden Röcke schieben.
Dem Onkel war also keinesfalls entgangen, dass ich mich langsam für die Mädchen der Nachbarn zu interessieren begann, Mädchen, die plötzlich nach Waldtümpeln dufteten. Ich stellte mir immer wieder vor, wie es wohl wäre, selbst Kinder zu haben, weil ich wusste, dass das passieren konnte, wenn man zu oft an ein bestimmtes Mädchen dachte. Ich hatte, so gesehen, viele Kinder, doch den meisten mangelte es an Takt- oder Ehrgefühl, viele wurden sogar ohne Gliedmaßen geboren, dem einen fehlte ein Bein und dem anderen die Hand oder das Auge, vielleicht wären sie trotz allem gute Menschen geworden.
Wenn einem ganz wesentliche Dinge fehlen, achtet man doch fortan auf sich, kann für andere ein gutes Beispiel abgeben, die Schwächen in Stärken verwandeln,
dachte ich noch.
    Früher, als es noch nicht so viele Soldaten und Jäger in den nahen Wäldern gab, kamen auch noch Gaukler und Schausteller in unsere Siedlung, um ihre Kunststücke vorzuführen. Sie blieben ein, zwei Wochen (meist unter sich), doch ihre Auftritte konnten sich wirklich sehen lassen … Es gab Esel mit roten Hufen und Schlangenfrauen und einen Mann mit viel zu langen Händen, der Vogelnester aus den Bäumen pflücken konnte, und eine Ballerina, die Kirschkerne so hoch in die Luft zu spucken vermochte, dass diese nie wieder zur Erde fielen. Unter dem Schauvolk lebte auch ein bunter Papagei, der einem, für ein kleines Entgelt, die Uhrzeit aufsagen konnte, und ein etwas zu klein geratener Zauberer ließ Nebelschwaden aus seinem Zylinder steigen,die unsere ganze Siedlung in ein fahles Dämmerlicht hüllten. Mit etwas Glück konnte er sogar die Sonne vom Himmel fegen … Zuvor jedoch mussten alle die Augen schließen, und wenn man sie wieder öffnete, war die Sonne tatsächlich verschwunden, es war dunkel, und keiner wusste so recht, wie viel Zeit eigentlich vergangen war. Ich hatte den Zauberer schwer im Verdacht, dass er uns hinters Licht führte, doch es war ihm nie etwas nachzuweisen, und auch der Papagei hielt seinen Schnabel.
    Ich dachte damals daran, dem fahrenden Volk zu folgen, um vielleicht in anderen Siedlungen und Städten mehr über das Leben zu erfahren, doch der Onkel ließ es nicht zu, und vielleicht war alles auch nur meine Schuld.
Nenne mir drei gute Gründe, und du kannst mit ihnen ziehen,
sagte der Onkel, aber über zwei (mehr oder weniger) gute Gründe kam ich nie hinaus.
    Wenn es im Haus nichts zu tun gab und das Wetter schwer zu wünschen übrig ließ, schulterte der Onkel gern seinen Spaten und nahm mich mit zu einem der kleinen Hügel, die unweit des Hauses unsere Grundstücksgrenze markierten.
Wir werden diese Verwerfung
(ich wusste nicht genau, was er meinte)
hier abtragen und irgendwo anders neu aufschütten,
sagte der Onkel, nahm den Spaten zur Hand und ging ans Werk. Der Hügel war mit dichtem, grünen Gras bewachsen und etwa so groß wie unser Haus, nur ein Schornstein und die Fenster fehlten. Es sollte einen ganzen Sommer dauern, bis wir damit fertig waren, und niemand half uns dabei, weil keiner irgendeinen Sinn darin sah, nur der Onkel war ganz in seinem Element, und die Schwielen an meinen Händen bezeugten ausdrücklich, dass ich es ihm gleichtat. Als ichspäter an einem Morgen aus dem Küchenfenster sah, war der abgetragene Hügel plötzlich wieder an seiner alten Stelle … Ich rieb mir erstaunt die Augen, doch der Hügel blieb unbeeindruckt, all die Arbeit war umsonst gewesen. Ich lief zum Onkel ins Schlafzimmer, weckte ihn und stammelte etwas von einem Wunder, doch der Onkel gähnte, streckte sich, und als er das Fenster öffnete, lachte er mich aus und sagte, ich sehe wohl Gespenster, er könne bei bestem Willen keinen Hügel ausmachen … Und dann ging er wieder zu Bett.
    Die Briefe meiner Mutter fanden sich immer öfter gleich auf der Türschwelle meines Zimmers, manchmal auch auf dem Küchentisch, selten im Bad, und niemals fand ich auch nur eine ihrer Zeilen im Garten.
Sie steht dir ins Gesicht geschrieben,
sagte der Onkel, und er meinte wohl damit, dass ich meiner Mutter ähnelte. Dann und wann kamen Briefe an, die zwar die Handschrift meiner Mutter trugen, doch mir schienen sie gänzlich fremd. Sie enthielten allerlei unzusammenhängende Sätze und etliche Fragmente, die vielen

Weitere Kostenlose Bücher