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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Bäume umkippen oder Regenpfützen weiten und ich durch einen Gang schreite, und am Ende dieses Marsches ist die Stimme der Mutter zu hören, die mich in den Arm nimmt und mitzieht, weit weg von hier, und nichts würde uns jemals wieder trennen.
    Es gab in manchen Jahren viele junge Mütter in unserer Siedlung, ich sah die schwangeren Bäuche und aufgequollenen Gesichter, der Onkel beachtete sie kaum, und ich sollte wohl nicht weiter nachfragen. Einmal sah ich die Tochter unseres Nachbarn, wie sie in den Garten lief undsich auf einen Stein setzte, sie streichelte ihren Bauch, und ich verstand ihre Geste (dumm, wie ich war) erst viel später. Bis sie mich plötzlich sah und ich ihren Blick erwiderte, sie flüsterte mir etwas
Verbotenes
zu, und ich konnte es damals nicht genau von ihren Lippen ablesen, die Worte gingen irgendwo auf dem weiten Weg zwischen ihr und mir verloren oder wurden gar mutwillig vom Wind verstreut. Ich war sehr aufgeregt und versuchte, mir vorzustellen, was sie mir wohl zugeflüstert hatte (keinesfalls sollte ich vergessen zu erwähnen, dass sich die Tochter meines Nachbarn zum ersten Mal an mich wandte), ich wollte unbedingt zu ihr und mein Ohr an ihre Lippen legen.
    Nach ein paar Schritten (auf sie zu) schreckte sie hoch und sah sich ängstlich um, sie drehte sich im Kreis, und ihre Hände zitterten, ich lief um sie herum und noch einmal, taumeln und kreisen, die Wege verkürzen, ihr ganz nahe kommen. Auf einmal schlug sie ein Kreuzzeichen, schloss ihre Augen und murmelte ein ängstliches Vaterunser, es endete mit den Worten …
du nicht, du kannst nicht in unser Haus, du kannst nichts besitzen.
Dann öffnete sie die Augen, und ich stand vor ihr, sie sah mich an und spähte über meine Schulter und noch weiter, sie musterte die Hecken, Büsche und Sträucher, lächelte endlich, als plötzlich eine Amsel auftauchte und entschlossen einen Wurm aus dem Boden zog. Ich hätte sie beinahe berühren können (zum ersten Mal), streckte beide Hände nach ihr aus, doch sie sah durch mich hindurch, setzte sich wieder und sang sich irgendein Schlaflied.
    Ich erinnere mich, wie ich später dem Onkel von ihr erzählte, ich wollte wissen, wessen Kind sie (möglicherweise)in sich trug und ob wir Kinder unseren Müttern Leid antun, dass ich es gern ändern möchte. Er lachte und behauptete, es sei die natürlichste Sache der Welt, Kinder in seinem Bauch auszutragen, doch wenn ich es mir genau überlegte, schmerzte es gewaltig und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich war tatsächlich dankbar, kein Mädchen zu sein, nicht mit dem Gefühl aufzuwachsen, ich müsse irgendwann mein Leben (für ein anderes) lassen. Und dann war da auch noch die Sache, wie so ein Leben überhaupt in einen hineingelangte, und bestimmt gab es dabei (wie bei allem) einen gewaltigen Haken.
    Im Haus unserer Nachbarn brannte nur selten Licht,
es ist die Elektrik,
sagte der Onkel und erzählte mir von den alten Leitungen und allfälligen Reparaturarbeiten, dass aber alte Häuser andere Tugenden besitzen, Charme und Geschichte, und dass es in einigen sogar spuken soll. Unsere Nachbarn saßen manchmal bei Kerzenlicht in der Küche (ich spähte hinüber), ich sah sie beim Abendessen, die jungen Töchter und die sorgsam gekleidete Mutter, die das Essen am Tisch absetzte und immerzu lächelte. Es gab des Öfteren Hackbraten und gefüllte Wachteln, alles war friedlich und erinnerte mich an ein früheres Leben, als die Tante noch lebte und die Küche von wohlriechenden Sachen überquoll. Marmorkuchen und Powidlbuchteln, geschmorter Wildhase in Rosmarin und Bachsaiblinge auf Thymian, oft genug hielt ich das Ableben der Tante für einen «kulinarischen Wahnsinn», bedauerte diesen Kahlschlag und verfluchte mich insgeheim, zu ihren Lebzeiten nicht mehr Rezepte aufgeschnappt zu haben.
Magst du noch Kartoffeln?,
fragte der Onkel, was er oft tat, denn Kartoffeln konnte er wirklich gut zubereiten, er grub sie eigenhändig auf denFeldern aus und ließ nur selten zu, sie abzuschälen, weil doch in den Schalen Vitamine und Spurenelemente enthalten seien, die ein gesunder Junge nun mal brauche (dass Schweine und Kaninchen diese Schalen noch lieber hatten, erfuhr ich erst viel später).
    Das Haus nebenan, wenn alle ausgeflogen waren, ich konnte es nicht lassen, ab und an durch eines der offenen Fenster zu steigen, mich kurz umzusehen, immer doch auf der Hut, beim kleinsten Anzeichen von Gefahr zu verschwinden. Die Zimmer unserer Nachbarn unterschieden sich kaum

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