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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ausgehandelten Plätzen und traten und schlugen uns blutig, wir rissen uns an den Haaren und bissen einander in Wangen und Gliedmaßen, oft genug tadelte mich der Onkel, weil ich mit zerfetzter Hose oder blutigem Hemd nach Hause schlich.
Du nähst und wäschst alles selbst,
sagte er, doch er wollte auch wissen, ob ich gewonnen hätte, und wenn ich ein
Ja
hauchte, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen.
    Einmal im Jahr säumten bunte Blumen die Straßen unserer Siedlung, wir pflückten jene, die deutlich nach Sommer rochen, trockneten sie in der Sonne und rollten daraus unsere ersten Zigaretten. Wir taten, was getan werden musste, doch schon nach den ersten Zügen mussten wir gehörig husten. Die Blumen verloren schon bald ihre Farben, die Sommer zogen vorüber, die Bäume bogen sich im Wind (oder erzitterten immer öfter unter den Sägen), sie fielen und hinterließen große, hässliche Lücken.
    Ich nahm mir allerlei vor … Mit einem Satz wollte ich unlängst die breiteste Stelle eines Baches queren. Ich nahm Anlauf und lief so schnell los, wie ich konnte, schneller, immer weiter, ein perfekter Absprung, doch selbst das sollte nicht gelingen, ich sollte mir nie genügen, es langte nachwie vor nicht. Ich kroch aus dem Bachbett, die Hände zitterten, und meine wunden Knie schmerzten, überall im Wasser und am Ufer fanden sich von der Natur geformte Steinskulpturen, vielleicht längst vergessene Tiere, die einst den Bach gequert und überraschend ihren Tod gefunden hatten. Die Jahrhunderte waren vorübergezogen und hatten sie im Schlamm erstarren lassen (konserviert für die Ewigkeit), mir nicht unähnlich lagen sie nunmehr im flachen Wasser oder machten sich im Gras breit, sie hüllten sich in Schweigen, und ich hielt erstaunt den Atem an.
    Erinnerungen überall, schlimmer noch, die eigenartigsten Träume … Wie mich Mutter zum Friedhof begleitet und sich über meine schmutzige Hose beklagt, in jeder Siedlung gab es schließlich einen solchen, abseits und verborgen. Sie rupft Unkraut vom Grab einer Nachbarin, und als sie die Erde umgräbt, kommen plötzlich Hüftknochen zum Vorschein, sie glänzen und funkeln in der prallen Sonne.
Oh, sieh mal einer an, ein Hüftknochen,
sagt meine Mutter,
den vergraben wir lieber wieder
, was sie auch tut, ohne Hast oder Scheu, voller Inbrunst (oder Demut), einzig und allein meine Mutter ist zu einer solchen Gelassenheit fähig. Ich selbst blieb noch lange Zeit aufgewühlt vom Anblick der Menschenknochen (selbst als ich längst wach war), während die Mutter (im Traum wiederum) unbeeindruckt ihre Arbeit fortsetzt, sie pflückt den Löwenzahn und brüskiert den Spitzwegerich, ich stehe starr neben ihr, denke an die Toten und bin dabei selbst längst tot.
    Manchmal träumten wir in der Siedlung tatsächlich alle denselben Traum, die Soldaten kamen und machten die Siedlung dem Erdboden gleich, sie erschossen die Männerund Frauen, und uns Kinder warfen sie in eine der frisch ausgehobenen Gruben, die Wände waren viel zu steil, um hochzuklettern, und am Boden sammelten sich aufgescheuchte (und demnach wütende) Regenwürmer. Ich sprach einmal mit den Töchtern unserer Nachbarn darüber und erfuhr wiederum, dass sie in ihren Träumen von besagten Soldaten auf einen Feldzug mitgenommen wurden, sie wuschen fortan ihre Uniformen und kochten allerlei Getier zum Abendessen, man schnitt ihnen die Haare und tätowierte ein kleines
G
auf ihre Handrücken. Wir dachten lange darüber nach, welche Bedeutung es wohl haben mochte …
G
wie
Gefangene
,
G
wie
Girlanden
(eine Art optischer Zierde im Soldatenlager),
G
wie
Gefahr
,
G
wie
Günstlinge
oder
G
wie
Geister
.
    In meinem Traum wurden die Burschen nicht markiert, doch habe ich die Geschichte vielleicht nie ganz zu Ende geträumt, der nächste Morgen kam stets viel schneller, als ich dachte, und der Onkel rief mich bereits, ich solle in die Küche kommen und unser Tagwerk angehen. Wir saßen demnach immerwährend (im Traum) in den Gruben fest, und die Soldaten blickten auf uns herab, einige lachten und rauchten, andere besahen uns mit steinernen Mienen und fuhren sich kurz mit der Hand über die Kehlen …
G
wie
Gesten
.
G
wie
Gurgel. G
wie
Glut.
    Immer schon wollte ich wissen, ob der Onkel auch etwas träumt … Wenn er im Bett lag und ich zu ihm ins Zimmer geschlichen kam, schlief er längst tief und fest, dann und wann drehte er sich im Bett und wandte mir seinen breiten Rücken zu, dicke Muskelpakete säumten in Reih und Glied seine

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