Brenntage - Roman
und sie mittlerweile irgendwo durch die Siedlung watschelte, schnatternd und etwas ärgerlich, weil sich keiner mit ihr beschäftigen wollte. Ich lief zum Teich, um die Leine einzuholen, die immer noch ins Wasser ragte, es wäre Verschwendung, sie einfach zurückzulassen, wo wir doch planten, uns Bögen anzufertigen, und so eine alte Wäscheleine konnte bestimmt viel Zug entwickeln. Ich band sie von der Löschmarkierung los, begann, sie einzuholen, als die Leine sich plötzlich spannte und an mir zu zerren begann, sie schnitt durch das Wasser und schlug sogar kleine Wellen.
Ich ließ nicht locker, und die Leine schnitt sich tief in mein Fleisch ein, etwas Blut tropfte auf den Boden, und ich rief nach den anderen Kindern, die mir sofort zu Hilfe eilten. Gemeinsam zogen wir an der Leine und verkeilten uns im Boden, manchmal gewannen wir ein paar Meter, dann aber mussten wir nachgeben, etwas zog stark nach unten in die unauslotbaren Tiefen, bestimmt ein kapitaler Hecht oder Waller oder einer der angeblich ausgestorbenen Huchen (die allerdings meines Wissens nach nur im Fließwasser lebten).
Eine Weile noch stand es unentschieden, zu allem entschlossen unternahmen wir einen letzten Versuch, wir zerrten und keuchten, und ganz langsam schien etwas aus der Tiefe emporzutauchen, Schlieren und Sprudel durchbrachen die Oberfläche, dann aber riss die Leine plötzlich, und wir fielen rücklings ins Gras, erschöpft und auch ein wenig wütend, dem Teich kein Geheimnis entrissen zu haben … Von der Ente fehlte fortan jede Spur.
VI. Verbotene Streifzüge
Wie versprengte Tiere schlichen wir durch die Siedlung, keiner von uns sprach ein Wort, und wir verschwanden allesamt in den uns zugehörigen Häusern, ein jedes Tierchen in seinen Bau. Ich lief in mein Zimmer, wieder zurück in die Küche und später noch einmal um das ganze Haus, der Onkel war ausgeflogen, und ich fühlte mich so richtig allein auf der Welt. Was immer sich auch in die Leine am Teich verbissen hatte, es würde niemals an die Oberfläche kommen, niemand konnte das bewirken, ich wusste es einfach. Ich legte mich ins Bett und sprach mit der Mutter, sie hörte aufmerksam zu und nickte immer wieder, sie lächelte mich an, und in der Ferne konnte ich ihre Schritte hören. Wenn ich die Augen schloss, roch ich sie überall im Haus, und wenn Spinnweben durch die Räume schwebten, berührte sie mich und sagte, ich müsse keine Angst vor Spinnen haben, diese Tiere hätten uns Menschen längst vergessen.
Es war sehr heiß in unserem Haus, die Wolken oberhalb der Siedlung hatten sich längst verzogen, und die Sonne schien durch alle Fenster, sie lockte so manchen ins Freie, und andere wiederum verbargen sich in den dunkelsten Ecken und verschliefen den Tag. Ich trank ein Glas Wasser und musste husten, etwas Flüssigkeit tropfte auf die Dielen, die Maserung begann, sich sogleich zu verfärben. Vor der Haustür (im Gegenlicht) schwebten ein paar Vögel vorbei, ihre Flügel erinnerten mich an kleine Schaufelräder und die Krallen an unbändige, niemals müde werdende Rotoren. Ich kniff die Augen zusammen, versuchte, die Welt zu erkennen, doch immer noch fiel zu viel Licht in meine Pupillen, einen Moment lang waren selbst die dunkelsten Ränder erhellt, Pupille und Iris gingen nahtlos ineinander über.
Ich dachte immer, ich würde mich selbst mit der Zeit besser verstehen, unsere Lage (und die unserer Nachbarn) begreifen, ich könnte dann vielleicht endlich Teil dieser Welt sein, mich durch ihre Eingeweide graben und Glück empfinden (weil ich am Leben bin oder irgend so was). In den dunklen Teich unserer Siedlung würde ich gern abtauchen, all seinen geheimnisvollen Geschöpfen begegnen, die ich dort vermuten musste, kurz nur über die Schwelle treten, ins Wasser eintauchen und möglichst lange die Luft anhalten, den Durchgang passieren und mich auf der anderen Seite ins Freie zerren lassen. Jubeln würden sie dort und mich auf ihren Händen tragen, mich mit Blumen und Ästen schmücken, die sie sorgfältig und von langer Hand ausgewählt hatten, einige würden vielleicht sogar einen Pinsel zur Hand nehmen und dieses Bild für die Ewigkeit festhalten.
Ich möchte so gern meine Mutter sehen, sie an den Haaren ziehen und ihren Rücken entlangstreichen, jeden Wirbel mit meinen Fingerkuppen berühren und seine Lage präzise in meinem Gedächtnis verankern. Schon als Kind hatte ich davon geträumt, dass mir wohlgesinnte Geister plötzlich alle Türen und Tore öffnen,
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