Brenntage - Roman
huschten durch die Lücken im Dach, sie fiepsten und pfiffen (einigestanden immerzu auf Posten), seilten sich ab und verschwanden ins Nichts … Ich saß eine Weile alleine herum, bis es mir zu langweilig wurde.
Das Haus, von dem es hieß, es führe einem die Zukunft vor Augen, war schwerer zu knacken … Wuchtige Schlösser baumelten an den Türen und Fenstern, dichte Dornenhecken wuchsen bis an die Hausfassade (in Afrika wollten sie mit solchen Hecken angeblich Löwen von ihren Rindern abhalten), an der Veranda stand ein Schaukelstuhl, und kaum frischte der Wind auf, geriet er in Bewegung … Ich erinnere mich, nur zu gern hätte ich darauf Platz genommen (doch die Gefahr, entdeckt zu werden, war viel zu groß). Endlich konnte ich an der Rückseite ein paar Bretter lockern und nach innen huschen, es war still, und irgendwo tickte eine alte Uhr, der Staub lag in dichten Wülsten in den Ecken, die alte Frau war bestimmt oft aus gewesen (und obendrein kurzsichtig). Die «Zukunft» kam mir plötzlich ganz rosig vor, in einem der Zimmer im Parterre duftete es nach Wildrosen, der Wind trieb wohl ihren Duft schon seit Jahren durch die undichten Fenster ins Haus, später setzte sich dieser ab, und kaum ging man herum, wirbelten die Schritte all die Duftpartikel auf … Rosen, es würde hier irgendwann Rosen regnen.
Einige Häuser in unserer Siedlung waren also unverschlossen, die Bewohner hatten in der Tat nichts zu verlieren oder schon vor Jahren ihre Angst abgelegt, schließlich und endlich verirrten sich nur noch selten Fremde in unsere Straßen.
In offenen Häusern ist man immer willkommen,
pflegte meine verstorbene Tante zu sagen,
trete ein, bring Glück herein, setz dich und iss mit uns und sing ein Liedchen!
Oder so ähnlich, diepTante erzählte mir vieles, wenn der Tag lang war, und ich kann mich nicht mehr an alles erinnern; eines weiß ich jedoch genau, dass die Tante ständig irgendwelche Lebensweisheiten zum Besten gab …
Das Schicksal nimmt nichts, was es nicht gegeben hat
oder
Eigensinn ist die Willenskraft der Schwachen
oder
Der Fleiß in deinen Jugendtagen wird später goldne Früchte tragen
und so weiter. Als ich noch klein war, nahm sie mich gerne an der Hand und spazierte mit mir durch die Siedlung, sie wusste über alles und jeden Bescheid, wer mit wem Streit hatte und wer was im Schilde führte, sie ließ mich bereitwillig an alldem teilhaben … Und ich sagte niemals Mutter zu ihr.
Als die Tante noch lebte, stand unser Haus immer offen, die Tür war nie abgesperrt, und sogar in der Nacht wäre es niemanden eingefallen, diese zu verriegeln …
Die Tante ist doch da, warum abschließen?,
lachte der Onkel, nachdem ich wissen wollte, ob nicht unverschlossene Häuser ein «Sicherheitsrisiko» darstellten. Manchmal wurde ich in der Nacht wach und glaubte, Fremde in meinem Zimmer zu erkennen, Soldaten und allerlei zerlumpte Gestalten, die nach Kohlenstaub und Bergwerk rochen. Sie verschwanden, sobald ich an etwas Schönes dachte, den Frühling im Wald oder die Rockzipfel der Mutter, die irgendwo ganz hinten im Schrank meiner Tante baumelten und ganz den Motten gehörten.
Sie erlaubte mir nur selten, diese aus dem Schrank zu holen, die Kleider und Röcke meiner Mutter, damit ich sie nicht versehentlich in Marmelade tauchte oder im Garten mit Spinnweben bekleckerte oder im Straßenstaub nachschleifte. Diese einzigen noch existierenden Beweise, dassmeine Mutter gelebt hat und ich tatsächlich zu jemandem
Mutter
sagte (wie all die anderen Kinder auch, die mir das nicht glauben wollten). Immer dann, wenn die Tante und der Onkel gemeinsam das Haus verließen (in meiner Kindheit taten sie das bisweilen, um mit anderen ins Reine zu kommen, wie sie sagten), lief ich zu Tantes Wäscheschrank und streifte mir die Kleider meiner Mutter über, ich mochte die weißen und grünen und blauen am liebsten. Ich stolzierte durchs Haus und drehte mich vor dem Spiegel im Kreis, und im Bad stieg ich auf die Kante der Badewanne (um so groß wie meine Mutter zu sein), und im Wohnzimmer legte ich mich auf die Couch und sah mein Spiegelbild im Fernseher flimmern, bestimmt ähnelte ich nunmehr meiner Mutter, die Haarfarbe und die Augen und die klare Stimme. Der Onkel behauptete einmal, egal, was ich auch sagen oder singen würde, ich sei ein Abbild seiner Schwester, er wäre sich da völlig sicher … Ich allerdings habe niemals auch nur ein einziges Lied vor dem Onkel angestimmt, ich kann es beschwören.
Natürlich kannte ich
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