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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Wirbelsäule. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen,ihn einige Male zu berühren, meine Finger tasteten den Stoff, der ihn umgab, es fühlte sich an, als würde er in einer Wolke schlafen, manchmal zuckte er im Schlaf, wohl immer dann, wenn ihn tief in seinem Innersten ein Blitz erhellte. Man konnte sogar durch den Stoff seine Haut berühren, den Pulsschlag fühlen, einmal öffnete er tatsächlich die Augen, und ich hielt erschrocken den Atem an, der Onkel sah mich zum Glück nicht und ließ mich unbehelligt aus dem Zimmer verschwinden.
    Am Ende unserer Siedlung lag ein Teich, in dem man stets Löschwasser bereithielt, schließlich konnte man nie vorsichtig genug sein, und es gab bestimmt irgendeine Verordnung, die das regelte. Sein Wasser war nahezu schwarz, starr und still lag er vor uns Kindern, und nur, wenn es heftig regnete, wurde die Oberfläche etwas aufgeweicht, helleres Regenwasser drang einige Zentimeter in den Teich ein, und wir Kinder versuchten angestrengt, in die Tiefe zu spähen. Angeblich hatte das Wasser eine dunkle Farbe angenommen, weil darunterliegende Erdschichten Torf enthielten … Es hieß zudem, dass der Teich unergründlich tief war, weil er bis zu den (nunmehr überfluteten) Minenschächten reichte, die unterhalb unserer Siedlung das Land durchzogen.
    Ich erinnere mich, das Schwimmen war verboten, keinesfalls jedoch Fischen oder Steinewerfen … Wir warfen natürlich manchen Felsbrocken, Kiesel oder Ziegelstein in den Teich und sahen zu, wie er langsam nach unten sank und sich bald in der Dunkelheit verlor. Mit dem Fischen war es so eine Sache … Angeblich gab es reichlich Fische im Teich, wenn man sie auch (klarerweise) nie zu Gesichtbekam. Die Männer hätten früher Hechte und Zander gefangen, Karpfen und Schleien, doch war das lange her, und keiner interessierte sich heute noch dafür. Soweit ich es sagen kann, fing keines der Kinder unserer Siedlung jemals einen Fisch im Löschteich, egal, wie lange man ausharrte oder welche Methode auch immer man anwandte, um diesen (vermeintlich) zu überlisten. Einige versuchten es mit Lebendködern (kleinen Fischen, die sie mit Netzen aus irgendeinem Bach holten), andere mit Käse oder frischem Brot, manche schworen auf Fliegen oder blinkende Utensilien (Metallplättchen, Patronenhülsen oder Stanniol).
    Einmal schlug einer sogar vor, einfach das Wasser des Löschteiches abzulassen, nur wusste keiner, wie das gehen sollte und wie viel Wasser sich eigentlich im Teich befand, und ob das nicht eine Überschwemmung oder irgendwas «Unheilvolles» nach sich ziehen würde. Wir hätten (seiner Meinung nach) Kanäle ausheben müssen, die das Wasser in nahe gelegene Senken ableiten, irgendwelche Wiesen und Felder und natürliche Gräben oder Wasserscheiden, wo sich später neue Teiche anlegen ließen, die nicht ganz so tief waren und deren Fischbestand man gut kontrollieren konnte. Ich hörte sogar, dass einer vor langer Zeit den Gedanken gefasst hatte, ein ganzes Meer trockenzulegen … Er hielt es für eine gute Idee, neues Land zu schaffen, und glaubte zudem fest daran, dass sich die Menschen (die auf verschiedenen Kontinenten lebten) erst dadurch näherkämen.
Das Meer trennt zu viel ab,
behauptete sogar mein Onkel.
    Ich selbst war verrückt genug, eines Tages eine kleine Ente an ein Stück Wäscheleine zu binden (sachte am Füßchen),ich trug sie zum Teich, und sie schwamm behände hinaus, die Leine schien sie gar nicht weiter zu behindern. Ein paar andere Kinder kamen, und wir schauten einige Stunden gebannt zu, wie sie auf dem Teich ihre Kreise drehte, sie schnatterte recht vergnügt und streckte ihre Flügelchen aus.
    Irgendwann wurde uns das Ganze doch zu langweilig, und ich band die Schnur an einem der Pflöcke fest, die überall am Ufer des Teiches zu finden waren. Früher schon erfuhr ich, dass die Männer der Siedlung diese Pfähle als
Löschmarkierungen
bezeichneten, doch welchen Zweck sie genau hatten, konnte mir keiner, den ich jemals danach fragte, erklären. Sie umkreisten den Teich, stumme Beobachter (oder Diener), die irgendwie zu verstehen gaben, bis hierher und nicht weiter, das Wasser blieb jedenfalls all die Jahre über auf seinem Platz.
    Als wir später auf unserem Weg aus dem Wald am Teich vorbeikamen, konnte keiner die kleine Ente ausmachen, es gab keine Sträucher oder Mulden, in denen sie sich hätte verstecken können, und so klein war sie nun auch wieder nicht. Wir mussten annehmen, dass sich die Leine gelöst hatte

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