Brenntage - Roman
noch, dass die feindliche Dame (in Weiß) aus dem Halswirbel eines Keilers entstanden war, die beiden Türme wiederum waren aus dem Unterschenkel eines Ochsen, sie waren wirklich imposant und ließen mich ein jedes Mal am Sieg zweifeln. Meine (schwarzen) Figuren waren allesamt etwas kleiner, gedrungener, der Onkel jedoch meinte, es käme im Schach nicht auf die Größe an, und ich müsse lediglich die Übersicht wahren. Oft genug war nach ein paar Zügen schon alles vorbei, der Onkel lachte, und an meinen Fingern klebte der Ruß, mit dem er meine (ebenfalls aus weißen Knochenstücken entstandenen) Figuren eingefärbt hatte, um sich ein adäquates Feindbild zu verschaffen. Auch wenn nur ganz wenige Figuren auf dem Spielfeld verblieben, der Sieg rückte damit für mich keinesfalls in greifbare Nähe, der Onkel kam regelmäßig zu einer weiteren (weißen) Dame und brachte somit neue Halswirbel ins Spiel, die Keiler nahmen mich in die Zange. Dass es mir nunmehrans Leder gehe, sagte er und ergötzte sich an meinen zahlreichen Schweißperlen.
In anderen Kriegen wollten die Soldaten ihren Hals dadurch retten, dass sie Unmengen an chemischen Giften in die Wälder sprühten, um sie der Blätter und Nadeln zu berauben. Sie glaubten, den Feind fortan leichter zu erkennen, wo dieser doch selbst ein Teil des Waldes war, die Verlängerung mancher Äste und Wurzeln, und man könnte nur dann die Oberhand gewinnen, wenn man diesem alle Grundlagen entzog … das schillernde Grün.
Viele Menschen wollen ihren Hals durch Brandrodung retten,
sagte der Onkel, weil der Wald angeblich zu viel Land beansprucht und es ihnen deshalb an Nahrung und Lebensqualität mangelt.
Alles Hitzköpfe!
Und vielleicht feierte der Onkel die Brenntage auch deshalb, um an das Schicksal derer zu erinnern, die sich in den Wäldern verstrickt hatten und nicht mehr anders zu helfen wussten, als Feuer zu legen. Wie die dümmsten Kinder, die ohnehin irgendwann verloren gingen … Und hätte man sie nie geboren, es wäre allen viel erspart geblieben.
Als ich einmal unversehens im Wald einem Keiler gegenüberstand, erinnerte ich mich an die feste Stimme meines Onkels, dass er gewiss kein Tier fürchte und dass die Tiere die Furcht eines Menschen instinktiv riechen, sie bereitet ihnen kein großes Kopfzerbrechen. Dass sie nicht verstehen, warum ein Wesen dieser Größe (wie der Mensch) an seiner Präsenz zweifle, und dadurch erst in Versuchung kämen, sich an diesen heranzuwagen. Ich betrachtete die Hauer des Keilers (als «Hauer» bezeichnete man früher übrigens auch einen Bergmann), der mir den Weg versperrte,die er wie zwei kleine Zugbrücken zur Oberlippe hochgezogen hatte, er schnaufte und röchelte, und heißer Dampf drang ihm aus den Poren, die Hufe versanken im bräunlich schimmernden Morast, ich schloss die Augen, und er war irgendwann einfach verschwunden.
Eines Tages fand ich auf einer Lichtung unzählige Tiere in Käfigen, die wohl von den Soldaten zurückgelassen worden waren, sogar wilde Raubkatzen befanden sich darunter. Ich wollte mir schon alles aus der Nähe anschauen, als mir plötzlich auffiel, dass die Käfigtüren unversperrt waren, man hatte sie nur angelehnt, und einige dieser «Bestien» hätten locker ins Freie spazieren können, um harmlose Wanderer anzufallen. Vielleicht war genau das ihre Absicht, scheinbar hilflos in den Käfigen zu verharren, um unversehens loszubrechen, die Gier nach Fleisch war ihnen doch schon aus der Ferne anzusehen. Ich lief wieder in die Siedlung zurück und stellte mir lieber vor, dass uns die Tiere bewachten, dass sie vielleicht mich und den Onkel und alle anderen in der Siedlung schützten, innerlich wusste ich jedoch nur zu gut, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Vielleicht verdienten wir auch etwas Besseres als die Wahrheit, vielleicht verdienten wir sogar etwas Schöneres als den Tod.
Sobald sich der Onkel seinen
Dingen
widmete und alle Arbeiten im Haus ruhten, zog ich aus, um auf eigene Faust die Gegend zu erkunden … Ich entfernte mich dabei immer weiter von der Siedlung und folgte den alten Eisenbahnschienen, bis ich einen Punkt erreichte, wo diese mutwillig beschädigt und verbogen worden waren, sie lagen verstreut in alle Richtungen, später fehlten sie sogarganz. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer so viel Kraft haben sollte, um dies zu vollbringen, und schob daher das Ganze auf irgendwelche Naturgewalten (die ich kannte), Stürme und Muren oder Erdrutsche. Vielleicht war die Eisenbahnlinie
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