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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Wald fanden, doch ich konnte mich täuschen.
Hast du genug gesehen?,
wollte der Onkel wissen, und ich sagte
ja doch
, weil die Schlucht in der Tat langweilig war, es zog und roch nach Verwesung, ich wollte wieder in den Wald zurück.
    Manchmal war es gefährlich, in den Wald zu gehen, wo doch die Männer der Siedlung einmal im Jahr eine wilde Hetzjagd veranstalteten, man hörte sie schreien und lärmen, immer wieder fielen Schüsse, und später kamen sie zurück, sie brachten in der Regel kein Wild (wie man vielleicht erwarten würde), allerdings ganz viele frische Fichten- und Tannenzweige. Viele stützten sich auf dem Rückweg gegenseitig, sie führten einander an der Hand, und etliche derbe Worte fielen, einige Männer lehnten sich erschöpft an die nächstbeste Hausmauer, und so mancher fiel in der Siedlung auf die Knie und blutete aus kleinen, jedoch tiefen Wunden.
    Nach diesen Jagden schienen die Wälder noch stiller geworden zu sein, keine Vögel oder Soldaten lugten hinter Bäumen hervor, uns Kindern blieben nur Pilze und Flechten oder plätschernde Bachläufe. Wir aßen jeden Pilz, der uns unterkam, und später erbrachen wir alles, immer wieder hatten wir seltsame Tagträume und sprachen wirres Zeug, überall Geister und Fabeltiere, die nur wir in der Dämmerung sahen.
    Es gab keine wie auch immer
verschworene Gemeinschaft
, wir waren Kinder einer entlegenen Siedlung, die sich, mangels anderer Spielgefährten, regelmäßig im Wald trafen und miteinander das Abenteuer suchten. Alle sahen wir dieselben Dinge und hörten dieselben Stimmen, und einer von uns führte in der Regel das Wort und füllte unsere Köpfe mit allerlei Vorstellungen, er ließ Geister von den Bäumen regnen, und diese mischten sich mit uns, wir wurden zu ihren Werkzeugen, so schnell ging das. Es gab Augenblicke, da spürte ich die Mutter überall an mir, und sie umschlangmeine Brust und presste mich gegen ihren Bauch, ihre Haare fielen über mich, und ich wickelte diese um meinen Kopf, den Oberkörper und auch die Beine. Sie ergriff mich mit ihren kalten Händen, irgendwo im Nacken hielt sie mich fest, und manchmal fühlte sie sich wie Regen an, und ein anderes Mal erinnerte sie an den bevorstehenden Tod.
    An manchen Stellen im Wald wuchsen die Farne in unverschämte Höhen, sie entzogen jungen Bäumen das Sonnenlicht und erstickten die kleinen Kiefern und Birken und Föhren. Wenn wir durch das feuchte Dickicht schlichen und uns zwischen ihren Blättern duckten, versanken die Füße im Morast, und die Spuren füllten sich schon bald mit bräunlicher Brühe, sie roch nach Moder und Spott. An der Seite des Onkels verloren die Wälder ihre Häme, hier war ich gern sein Gefolgsmann (und Gefangener), wo mich doch die anderen
Insassen
(Waldkauze und so weiter) nunmehr in Ruhe ließen und ich mir völlig unverkrampft die Steige und Pfade einprägen konnte. Bald schon hätte ich selbst bei völliger Dunkelheit den Weg in unsere Siedlung zurückgefunden.
    In einem ihrer Briefe legte mir die Mutter allerlei Skizzen und Karten bei, die im Detail unseren Landstrich zeigten, sie hatte darauf unsere Siedlung markiert und einige Wege beschrieben, auf denen man (mit etwas Glück und Geschick) fortgelangen konnte. Sie vergaß nicht zu erwähnen, wo man rasten und worauf man achten musste, widersprach allerdings mit ihren Angaben den Berichten meines Onkels beharrlich.
Wenn du mich eines Tages wiedersehen willst,
schrieb die Mutter,
musst du den Zug nehmen und einen gültigen Fahrschein lösen,
doch es fuhren schon lange keine Zügemehr an unserer Siedlung vorbei, und der Bahnhof lag weit außerhalb, niemand hielt dort das Unkraut davon ab, sich alles einzuverleiben. In der alten Station gediehen die Borkenkäfer, und allerlei Holzwürmer fraßen sich durch die Dielen und Balken, vor dem Bahnhof stand sogar ein rostiges Schild
Auf eigene Gefahr
, doch die dicke (und im Wesentlichen unversehrte) Staubschicht führte mir deutlich vor Augen, dass dieser Ort schon lange gemieden wurde. Ich fand ein paar Spuren von Vögeln und einigen kleineren Säugern, die es bei Tagesanbruch in die Wälder und Minen zog … Nur in der Nacht suchten sie die Nähe der menschlichen Siedlung, wohl um sich davon zu überzeugen, dass sie immer noch einer anderen Welt zugehörten.
    Manchmal zog es mich hoch zu den Minen, ich querte die nahen Hügel und Wälder, lief die Bäche und Furchen entlang, die sich einst in die Landschaft gefressen hatten, mein Gesicht war dabei von Dreck

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