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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und Schweiß überzogen. Ich träumte neulich davon, wie ich im Bett lag und keinesfalls mehr wusste, ob nicht all das, was mir bisher in meinem Leben widerfahren war, lediglich meiner Fantasie entsprang. Der Onkel aß mit der Tante zu Abend, sie spielten Karten und tranken heißen Himbeersaft, die Tante gewann, und der Onkel trug es mit Fassung. Ich schlenderte in den Garten, sprang in unseren Swimmingpool (es war wohl ein Traum), schwamm ein paar Längen und schob ein paar Fische zur Seite, die in dichten Schwärmen im Wasser hingen, viele saugten sich mit ihren Mündern an meiner Haut fest. Ich sprang daraufhin aus dem Wasser und lief zurück ins Haus, in mein Zimmer, aber der Onkel hielt mich an, er lachte und sagte:
Zieh sofort die Fische aus!
    Später hingen Räucherfische von der Decke meines Zimmers, als hätte ich viele Nächte damit verbracht, sie auszunehmen und in irgendwelchen Kaminen zu horten, eine Vorratskammer für schwierige Zeiten wogte plötzlich über mir. Einmal, als mich einer der Buben aus der Nachbarschaft besuchte, roch es in meinem Zimmer tatsächlich nach Fisch, es gab jedoch keinen Grund, sich dafür zu schämen. Mein Gast verfiel meinen Spielzeugsoldaten, die überall im Zimmer verstreut lagen, er war so vertieft in kleine Scharmützel, dass er mich gar nicht mehr wahrnahm. Der Onkel schnitzte mir diese Soldaten, als ich eines Tages hohes Fieber bekam und nach Ablenkung lechzte … Er nahm verdorrte Äste, Kastanien und Knochensplitter, zerschnitt eine graugrüne Plane, um allerlei kleine Uniformen zu nähen, er stellte sich dabei (wie immer) sehr geschickt an und konnte aus dem Nichts heraus neue Welten erschaffen.
    Manchmal versuchte ich, historische Schlachten nachzuahmen, schickte Spähtrupps aus und wollte mich für eine Seite entscheiden (die der Gerechten?). Auch wenn es keine richtige Seite gab, wie der Onkel anmerkte, es ging mir wohl tatsächlich nie um hehre Ziele, weil ich mir solche gar nicht vorzustellen wagte … Gerechtigkeit? Ehre? Was für eine Verschwendung! Ich ließ meine Soldaten wahllos gegeneinander aufmarschieren, obwohl ich vielen von ihnen insgeheim einen schlechten Charakter unterstellte,
es habe doch eigentlich das Gute gegen das Böse zu kämpfen, nicht wahr, Onkel?
Und wenn Gut und Böse längst nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren? Und wer forderte eigentlich wen heraus? Bei mir gewannen stets die Bösen, weil sie sich an keine Spielregeln hielten und klarerweise nichts zu verlieren hatten.
    Der Onkel erzählte mir von mancher längst geschlagener Schlacht, persischen Großkönigen, die einst am Bosporus aufmarschiert waren, mit all ihren Reitern, den Kataphraktoi und Klibanarioi, berittenen Bogenschützen und sogar Kriegselefanten. Einbäume wurden angeblich aufgeboten, Monoxyla, mit deren Hilfe man viel größere römische Boote angreifen wollte … und so weiter. Die in der Morgensonne funkelnden Panzer, Schilde und Waffen der wilden Horden mussten auf alle schrecklich gewirkt haben, wo es doch galt, seine Städte und Familien zu verteidigen, den Persern entschlossen die Stirn zu bieten. Mit wundertätigen Ikonen zogen Belagerte oftmals die Stadtmauern entlang, bemalten sich und alle freien Flächen mit Marienbildern, die Mutter Gottes sollte eine jede Seele vor dem Untergang retten.
    Ich fühlte mich wie ein Kindersoldat, doch dem Onkel konnte ich solchen Unsinn schwerlich erzählen. Ich spürte damals, dass wir verloren waren, unsere Zeit war abgelaufen, und ich sah mich blasser und blasser werden, meine Konturen verloren sich im Nebel, und irgendwann zog ich einsam umher, durch eine Landschaft, die mir gänzlich fremd war und deren Gegenwart mich verstörte. Sie ließ mich verstummen … Und nur ganz selten, wenn die Nebel für einen kurzen Moment lichter wurden, flackerten in der Ferne grelle Lichtkegel auf, vielleicht feierte dort irgendein Onkel Brenn- oder Geburtstage, was machte es noch für einen Unterschied. Vielleicht waren unsere eigenen Feste auch nur Orientierungspunkte für die
Konturlosen
dort draußen gewesen, nur weiß ich bis heute nicht, ob die Feuer- und Tanzgelage all die Orte markierten, die man suchen oder doch lieber um jeden Preis meiden sollte.
    Wenn ich im Sommer mit den anderen Kindern und Jugendlichen in den Wäldern untertauchte, lebten wir in unserer eigenen Welt, die auf einfachen und leicht nachvollziehbaren Regeln basierte. Ab und an kamen wir wie «menschliche Maulwürfe» wieder zurück zur Oberfläche, wir

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