Brenntage - Roman
schoben das Erdreich zur Seite und bestaunten uns kurz im Sonnenlicht (bevor wir erneut abtauchten). Eines Tages legten wir sogar unseren eigenen geheimen Friedhof an … Wir zimmerten Kreuze und rollten allerlei Steine heran, wir häuften kleine Hügel auf, die Menschen unserer Größe reichlich Platz boten. Die Gräber blieben allerdings leer … Sie trugen bestenfalls unsere Namen, weil wir sie gern mit unseren Signaturen versahen, doch glichen sie darüber hinaus eher kleinen Kunstwerken, die mit Waldblumen und sonstigen Mitbringseln geschmückt wurden.
VIII. Wolken
Im Winter sammelten wir Eiszapfen und Kohlestücke (für die dunklen Schneemannaugen), banden uns alles Mögliche an die Schuhe, um besonders seltsame Fußstapfen zu hinterlassen, wir liefen durch verschneite Wälder, und die Spuren erinnerten an Bären oder Riesenmolche, manche sahen auch aus wie die Einschläge kleiner Meteoriten, andere bildeten geometrische Formen. So manch einfältiger Soldat glaubte bei ihrem Anblick an Waldgeister und Fabelwesen, Chimären, die einem mit ihren Schnäbeln und Mäulern das Fleisch von den Knochen rissen (aus Lust oder Bosheit). Die Eiszapfen nahmen wir mit uns, um sie in alte Grabhügel zu treiben, es war schon etwas Kraft und Geschick erforderlich, um das gefrorene Erdreich zu pfählen, manches Grab durchlöcherten wir förmlich mit eisigem Sperrfeuer. Ich glaube, wir wollten (wie schon viele vor uns) den Winter austreiben, ihn aufscheuchen, damit er endlich die Erde freigab und wir unsere sommerlichen Spielstätten zurückerlangten.
Im Winter gab es in den Wäldern weitaus weniger Soldaten, doch vielleicht bekam man sie auch nur seltener zu Gesicht, weil sie schließlich dazu verdammt waren, in entlegenen Lagern zu überwintern. Sie mussten wohl dort ihre Spaten zücken und kleine Gräben und Mulden ausheben, über die sie später schmutzige Planen spannten, sie lebten von ihren kargen Vorräten und verfluchten den Winter … Bestimmt starben viele an Mangelerscheinungen, vielleicht verhungerten einige auch nur einfach oder nahmen sich (angesichts der Trostlosigkeit ihrer Lage) das Leben. Was nützten schon die griffbereiten Gewehre und Granaten, das Wild mied den Geruch ihrer Lager, und der Frost ließ sich bestimmt nicht von abgefeuerten Kugeln ins Bockshorn jagen.Sosehr wir uns auch anstrengten, niemals fanden wir auch nur eines dieser Lager, die es aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwo geben musste.
Einige Kinder glaubten, dass sich die Soldaten in die Minen zurückgezogen hätten, und sie schlugen vor, sie aufzuspüren und auszuräuchern … Wir schlichen zu einem der uns bekannten Mineneingänge, entzündeten dort ein großes Feuer, in das wir nasse Zweige und einige Tierkadaver warfen, es stank wie die Pest, und der Rauch biss sich bald in den Augen fest und verätzte die Schleimhäute. In die Minen gelangte er gar nicht, da ein stetiger Luftzug den Qualm in unsere Richtung trieb, wir zogen eindeutig den Kürzeren. Wir glaubten damals sogar, das Gelächter der Soldaten zu vernehmen, das aus den Tiefen bis zu uns vordrang. Sie wollten uns und unsere dumme Idee verhöhnen, eine ganze Armee mit billigen Tricks an die Oberfläche locken zu wollen, wie naiv … Dabei wollten wir sie lediglich mit Schneebällen bewerfen (aus dem Hinterhalt).
Manchmal fanden wir im Wald tote Krähen, die von mannshohen Holzstangen baumelten, lange Zeit konnten wir uns Sinn und Zweck dieser
Maßnahme
nicht erklären.
Sie dienen der Abschreckung,
erzählte mir der Onkel eines Morgens, doch er führte nicht aus, wen oder was sie abschrecken sollten und ob die Idee auch griff. Ich konnte darüber nur spekulieren, ich meine, früher ließen sich die Bauern zu ähnlichen Taten verleiten, um die Saat vor den Vogelschwärmen zu schützen. Die toten Krähen hielten mancherlei fern, andere ihrer Art und ein paar weitere «Korndiebe», keinesfalls jedoch Mäuse und Ratten. Vielleicht markierten die toten Vögel in unseren Wäldern auch nurunsichtbare Grenzen, Schwellen und Übergänge, die in ein anderes Reich führten, wahrscheinlicher schien mir allerdings, dass sie einfach nur geopfert wurden … Lebewesen, die zur falschen Zeit am falschen Ort nach Futter suchten, die vom Krieg und der uns innewohnenden Bosheit vernichtet wurden.
Manchmal hörte man in unserer Siedlung allerlei Geschichten, wenn die alten Männer abends vor ihren Häusern saßen und die Frauen am Herd standen, sie tischten den Kindern einiges auf, die
Weitere Kostenlose Bücher