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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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anderen Herrn.
    Es kam vor, dass ich mit dem Onkel im Wohnzimmer saß, wir hörten Radio oder sahen fern, ein paar Tage und Nächte konnten wir das schon aushalten,
zum Schlafen bleibt später noch reichlich Zeit,
meinte er. Ich beobachtete, wie einige Schwertwale einen Grauwal mit seinem Jungen durchs Meer trieben, auf dem Fernsehschirm geschah dies nahezu lautlos und in epischer Breite. Die Schwertwale blieben beharrlich und mühten sich, den jungen Wal vom Muttertier zu trennen, immer wieder schoben sie ihre pfeilschnellen Leiber zwischen die beiden Grauwale, bis das Husarenstück gelang. Kaum war der Jungwal allein, änderten die Jäger ihre Taktik, deutlich kleiner als er, versuchten sie, den Jungwal zu ertränken. Sie sprangen auf seinen Rücken (kaum, dass er auftauchen wollte, um nach Luft zu schnappen) und drückten ihn nach unten, die See wimmelte nur von allerlei zuckenden Leibern, die Schwertwale schnauften und liefen unermüdlich gegen den Grauwal an, bis er schließlich sein Leben ließ. Sie fraßen ein (verschwindend kleines) Stück seines riesigen Körpers und zogen bald weiter, hämisch am Muttertier vorbei, verschwanden sie irgendwo in den Tiefen der See. Ich erinnere mich noch, dass man sie deshalb auch «Killerwale» nannte, weil sie «Walkiller» waren, doch eigentlich handelte es sich bei der Art lediglich um übergroße Tümmler oder so ähnlich.
    Der Onkel drehte den Fernseher ab und wandte sich mir zu, ob ich gesehen habe, was passieren kann, wenn man etwas zwischen sich und seine Nächsten kommen lässt, dass es nicht immer gleich ganz schlimm enden muss, doch irgendwann unweigerlich ins Verderben führt. Ich erinnere mich sogar daran, wie der Onkel einmal Tantes Nähzeug an sich nahm, er vernähte die Öffnungen meiner Hemden undT-Shirts, sogar die Socken bekamen etwas Zwirn ab. Ich musste tief und fest geschlafen haben (weil ich nichts davon mitbekam), ich lag im Bett und sah nach meiner Mutter (in allerlei Träumen), und am nächsten Morgen, als ich in Jeans und T-Shirt schlüpfen wollte, blieben die Hände und Beine einfach stecken, ich fiel sogar der Länge nach hin. Der Onkel kam in mein Zimmer geritten (so laut waren seine Schritte) und lachte, er hielt sich den Bauch, und Tränen kullerten seine Wangen hinunter,
was sich liebt, das neckt sich,
meinte er später. Ich trennte sofort alles wieder auf wie ein Chirurg, der sich vorsichtig an heikle Wunden (Nähte!) herantastet, um irgendwelchen Gefäßen ihre ursprüngliche Funktion wiederzugeben. Das Leben floss bald erneut, das Blut ins Herz und von da aus in jede Ecke einer noch so lebensfernen Peripherie, verflixt und zugenäht, alles hängt wohl irgendwie zusammen.
    Einmal entdeckten wir beim Spielen im Wald einen seltsamen Felsen, und eines der Mädchen sagte, dies sei ein
Monolith,
und sie warf ihm sogar einen Kussmund zu, doch der Fels wich nicht vom Fleck. Ich hatte dieses Wort noch nie gehört und stellte sogleich Überlegungen an, was es bedeuten mochte (zugegeben, er sah schon wie ein Denkmal aus) … Viel wichtiger jedoch schien mir die Frage, wie er hierhergelangt war, weit und breit gab es keine anderen Felsen in diesem Teil des Waldes, und die fernen Berge glitzerten hämisch im Morgenlicht der (wie mir schien) von uns abgewandten Sonne. Schon als Kind hatte ich das Gefühl, dass uns die Sonne ihren Rücken zukehrt, und nicht einmal der Onkel vermochte, mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Die Sonne schaut uns nicht an, und du weißt das
, sagte ich zum Onkel,
dass sie uns links liegen lässt
.
Erklär das doch den
Zauneidechsen
, lachte der Onkel, doch er beließ es dabei und erwähnte das Thema nie wieder. Dass die Sonne bestimmt ein Gesicht habe, das wir niemals zu Gesicht bekämen, das konnte mir ohnehin keiner ausreden.
    Ich stellte mir vor, wie der Fels durch die Luft geflogen war und bei seinem Aufprall ein paar Bäume entwurzelt und unvorsichtige Tiere getötet hatte und vor wie vielen Jahre es wohl passiert sein mochte, dass die Berge einen von ihnen in diesen Teil des Waldes entsandten. Vielleicht wollten sie damals die Anliegen der hiesigen Bäume hören, bestimmt jedoch konnten sie noch heute unsere Gespräche belauschen, wenn wir in der Nähe des Monolithen lagerten. Ich sprach kein Wort, um den Bergen keine Handhabe gegen mich zu liefern, doch die anderen lachten mich aus, und in der Siedlung meinten sie nur, als Erwachsener würde ich schon noch begreifen, dass Felsen nur Felsen seien und ein unüberwindbares

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