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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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hatte die Frage früher erwartet. Und nicht von Madame Menez.
    »Man hat ihm und Yannig Konan starke Beruhigungsmittel verabreicht. Zusammen mit dem Alkohol hatten sie keine Chance …«
    Muriel Lefort legte ihre Hände vors Gesicht. Wieder entstand ein längeres Schweigen. Wieder zeigte Madame Menez nicht die kleinste Regung.
    »Wir haben mittlerweile auch das Boot gefunden, mit dem sie gekentert sind. Es gehört einem Grégoire Pajot. Eine Gran Turismo. Ein sehr teures Boot. Sie sind am Ausgang der Kammer auf Felsen gefahren. – – – Sagt Ihnen der Name Grégoire Pajot etwas, Madame Lefort?«
    Muriel Lefort antwortete nicht sofort.
    »Ja. Ich habe ihn schon gehört. Einer der ›Freunde‹ meines Bruders. Ich glaube, ein Investor.«
    »Wahrscheinlich waren sie das Wochenende über zu dritt auf seinem Boot unterwegs.«
    Muriel Lefort schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus.
    »Wäre es wohl möglich, bei mir zu Hause weiterzureden? Ich würde gern etwas trinken. Und mich setzen.«
    »Natürlich. Es gibt ein paar wichtige Fragen.«
    »Selbstverständlich.«
    Madame Menez ging in zügigem Tempo voraus. Madame Lefort folgte, schloss fast zu ihr auf, aber nicht ganz. Dupin ließ sich ein paar Schritte zurückfallen. Auf einem schwach ausgetretenen Pfad nahmen sie den Weg über das karge Grün, auf die hässlichen dreieckigen Häuser zu, die in vielleicht hundertfünfzig Meter Entfernung vor ihnen lagen. Sie schwiegen alle drei. Dupin war froh darüber.
    Die Sonne hatte sich bereits weit zum Meer hinuntergesenkt, das Farbenspiel hatte längst begonnen. Ein Zauber der sanften Art, ganz ohne knallige Effekte. In das helle, klare Blau hatte sich zunächst fast unmerklich ein feines, zartes Orange gemischt, mit wenig Rot, das nun zu einem wässerigen orangefarbenen Glimmen geworden war und die gesamte westliche Sphäre einnahm: den Himmel, das Meer – und auch die Sonne selbst. Noch ein paar Minuten und der klar umrissene Ball würde ruhig im Meer verschwinden, leise, friedlich – zumindest am heutigen Abend. Es war, fand Dupin, als wäre die Sonne manchmal ganz damit einverstanden, unterzugehen, ein anderes Mal dann wieder gar nicht. Dann schien es ihr im Innersten zu widerstreben und zu dramatischen kosmischen Kämpfen zu kommen, zu apokalytischen Farben, Szenen und Stimmungen, an deren Ende sie im Meer wie in einer finalen Weltenkatastrophe ertrank. Innerhalb der nächsten halben Stunde würde das zarte Orange langsam vergehen und schließlich übergangslos von einem tiefen Schwarz verschluckt werden. Dupin kannte das gut. Ein fast stoffliches Schwarz, das viel mehr war als nur das Fehlen von Licht.
    Als sie sich dem ersten Haus näherten, übernahm Muriel Lefort die Führung. Noch im Gehen begann sie in ihrer Handtasche zu kramen und holte mit einer entschlossenen Bewegung einen kleinen Schlüsselbund hervor.
    Sie stiegen über die flache Mauer und blieben kurz vor der Tür stehen, bis Madame Lefort aufgesperrt hatte. Immer noch hatte keiner gesprochen. Sie traten ein.
    »Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen würden, ich möchte mich kurz frisch machen. Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Madame Menez wird sich um Sie kümmern.«
    Muriel Lefort stieg die Treppe hoch. Das Haus war vollkommen identisch geschnitten und aufgeteilt wie das ihres Bruders – wie wohl alle diese Häuser –, aber ungleich einfacher eingerichtet. Alte Holzmöbel, ein schönes, deutlich bewohntes Eichenparkett, eine offene Küche, der man ansah, dass sie genutzt wurde. Ein kleiner schlichter Tisch stand darin, ein größerer befand sich vor dem Panoramafenster, das nach Osten ging. Dupin schritt auf das Fenster zu. Hier war es schon geschehen. Der Unterschied zwischen den Hemisphären war am Ende der Welt zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs gewaltig: Hier war schon eindeutig Nacht, im Westen glimmte noch das letzte Orange.
    »Dass es ein Mord war, wundert mich gar nicht.«
    In dem eher gestoßenen als gesprochenen Satz von Maela Menez lag ein tiefer Affekt, den sie, so wirkte es, zunächst mit Mühe zurückgehalten hatte und der sich nun Bahn brach.
    »Wenn ich des Mordes fähig wäre und Madame Lefort nicht seine Schwester – ich hätte ihn unter Umständen auch umgebracht. Er war ein schändlicher Charakter. Es ist pietätlos, das zu sagen, ich weiß. Aber das ist mir egal.«
    Dupin drehte sich um und musterte Madame Menez interessiert. Es war eine eigenartige Mischung: die etwas gespreizte, irgendwie altmodische

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