Bretonische Brandung
vorzulegen. Es wird schon seit ein paar Monaten überall darüber geredet. Der neue Bürgermeister hat sich noch nicht geäußert. Wir gehen alle davon aus, dass er dieselbe entschiedene Position vertreten wird wie sein Vorgänger. Der Gemeinderat ist größtenteils noch derselbe wie vor ein paar Jahren. Er hatte ebenfalls dagegengestimmt, wenn auch nur mit knapper Mehrheit. Gleichermaßen der Bezirksrat. Die neuen Gesetze zum Küstenschutz machen es eigentlich unmöglich. Was Lefort in keiner Weise davon abgehalten hätte, es dennoch zu versuchen.«
»Er war doch gestern Abend auch da, oder? Der Bürgermeister, meine ich. Monsieur …«
»Du Marhallac’h. Genau.«
»Er hat sich doch auch mit Lefort unterhalten, haben Sie gesagt.«
»Ja.«
Solenn Nuz wandte den Blick von Dupin ab und betrachtete ihre Hände.
»Es würde die Glénan zerstören. Alles hier. Es gibt Tourismus, ja, aber er berührt den Archipel nur oberflächlich.«
Dupin verstand einigermaßen, was sie damit sagen wollte.
»Und seine Schwester? Muriel Lefort?«
»Sie ist immer strikt gegen all diese Pläne gewesen.«
»Dann haben die beiden schwere Konflikte gehabt?«
Solenn Nuz zögerte einen kleinen Moment.
»Unentwegt. Sie haben sich erbittert gestritten, es war ein einziger Kampf zwischen den beiden.«
»Die Leforts müssen sehr wohlhabend sein.«
»Das sind sie.«
Wieder machte Dupin sich eine Notiz.
»Gab es außer diesen Plänen Gründe für Auseinandersetzungen zwischen den beiden?«
»Man kann sich keine Geschwister vorstellen, die unterschiedlicher sein könnten. In jeder Hinsicht. Muriel verkörpert den ›ursprünglichen Geist‹ der Segelschule. Ihr Bruder hat genau das mit Füßen getreten. Ihn interessierte nur, wie mehr Geld zu machen war, er …«
»Können Sie das genauer erklären: den ›ursprünglichen Geist‹?«
»Eine Haltung. Bestimmte Werte. Ehrenamtlichkeit, das Leben im Kollektiv, Solidarität, Selbstständigkeit. Die Segelschule ist weltweit eine Institution. Sie wurde Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet, aus dem Geist der Résistance. Lucas’ und Muriels Eltern waren führende Mitglieder des Widerstandes im Finistère. Die Segelschule war zunächst eine Art Kommune idealistischer junger Männer und Frauen.«
»Und dann?«
»Im Laufe der Jahre wurde sie von Muriels und Lucas’ Eltern immer weiter ausgebaut. Behutsam. Sehr klug. Und immer im Sinne der alten Ideale. Es ging um große Ideen. Noch heute ist sie das Gegenteil eines ›noblen Jachtklubs‹, der üblichen Segelschulen. Noch immer leben die Kursteilnehmer hier unter einfachsten Bedingungen. Hier sind alle gleich. Egal, wie viel Geld sie haben. Sie schlafen auf Pritschen in Gemeinschaftsräumen, benutzen Gemeinschaftsduschen wie beim Camping, sie essen gemeinsam im Freien. Sie lernen nicht nur segeln, es geht um viel mehr. – Dafür steht Muriel Lefort. Und Maela Menez.«
»Das ist die Assistentin.«
»Ja.«
»Welche Funktion hat sie genau?«
»Sie ist Muriels rechte Hand. Sie macht alles. Ein paar Dinge leitet sie auch selbstständig. Den Bootspark zum Beispiel. Sie verkörpert den Geist der Segelschule sehr, wie soll ich sagen, rigoros. Rabiat. Sie ist sehr – idealistisch.«
»Dann befand auch sie sich in einem angespannten Verhältnis zu Lucas Lefort.«
»Oh ja.«
»Haben sich die beiden nicht auch gestern Abend unterhalten?«
»Sie haben beieinandergestanden. An der Bar. Ich weiß nicht genau, wie lange.«
»Immerhin hat man noch miteinander gesprochen.«
»Sie dürfen sich keine falschen Vorstellungen machen. Auch Muriel und ihr Bruder haben sich nicht die ganze Zeit angeschrien«, sie schien nachzudenken, »die Konflikte gingen viel tiefer. Und vergessen Sie nie, das hier ist eine sehr eigene Welt. Und eine sehr kleine.«
Solenn Nuz erinnerte Dupin in manchem an Nolwenn, das hatte er sich eben schon gedacht. Dabei war es nicht der ähnliche Klang ihrer Namen, nicht ihr umfassendes Wissen über die Menschen, das sie beide sammelten, sondern vor allem die Art und Weise, wie und was sie beobachteten.
»Ist Ihnen bekannt, ob es in letzter Zeit zu irgendeiner Eskalation zwischen den Geschwistern gekommen ist?«
»Muriel hat immer versucht, den Konflikt nicht nach außen zu tragen. Das wäre ihrem Naturell ganz zuwider. Sie ist eine höchst diskrete Person. Ich weiß nicht genau, was da vor sich gegangen ist. Das weiß nur sie.«
Dupin runzelte die Stirn.
»Wer noch? Wer gehörte noch zu Lucas Leforts Feinden?«
»Wie
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