Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
Vom Netzwerk:
ernsteren erdgeschichtlichen Vortrag gekontert hatte. Die Stellung der Erdachse, hatte Dupin gelernt, hatte sich dramatisch verschoben und mit ihr die Klimazonen. So waren es also tatsächlich echte tropische Strände hier! Zumindest einmal gewesen. Bretonen hatten, fand Dupin, ein besonderes Verhältnis zur Zeit, zur Vergangenheit, auch zur weit zurückliegenden Vergangenheit. Was vor allem hieß: Es gab sie für Bretonen nicht, die Vergangenheit. Sie war nicht vergangen. Nichts war vergangen. Alles, was gewesen war, war auch gegenwärtig und würde es immer bleiben. Die Gegenwart wurde dadurch kein bisschen in ihrer Bedeutung geschmälert, im Gegenteil: Es machte sie noch größer. Es hatte gedauert, bis Dupin das verstanden hatte. Aber irgendwann hatte er entdeckt, dass darin eine Wahrheit lag, die sehr beruhigend war. Und wenn man am »Ende der Welt« zurechtkommen wollte, durfte man diese Wahrheit nicht vergessen.
    In der Kammer fuhr die Luc’hed jetzt mit reduzierter Geschwindigkeit, bald kam der Quai von Saint-Nicolas in Sicht, die hässlichen dreieckigen Häuser, das Farmhaus der Segelschule, die Tauchschule, das Quatre Vents. Routiniert legte der Kapitän am Quai an, und schon war Dupin auf dem Weg zur »Einsatzzentrale«.
    »Was gibt es, Riwal?«
    Der Inspektor saß am selben Tisch, an dem sie gestern gesessen hatten. Er hatte Dupin nicht kommen sehen, so vertieft war er in sein Notizheft gewesen, in dem mehrere DIN-A4-Blätter eingelegt waren. Ruckartig richtete er sich auf und blickte ein wenig verlegen zu dem großen Teller vor ihm auf dem Tisch, auf dem die spärlichen Überreste eines Hummers gestapelt waren. Daneben standen zwei Flaschen Wasser und mehrere Gläser. Auch ein leeres Weinglas.
    »Man muss viel trinken bei diesem Wetter. – Ich habe mit Madame Nuz und Madame Barrault Gespräche geführt. Und mit Madame Menez.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Ich habe eben etwas gegessen.«
    »Sehr gut, Riwal. Das werde ich auch gleich tun.«
    Der feste Boden unter den Füßen ließ Dupin für seine Verhältnisse fast euphorisch werden.
    Riwal platzte nun mit der Neuigkeit heraus.
    »Der Arzt aus Sainte-Marine, der vorgestern Nacht anscheinend auch kurz im Quatre Vents war, ist vermisst gemeldet worden: Devan Le Menn …«
    »Le Menn wird vermisst? Le Menn?«
    Dupins leichter Anfall von guter Laune verflüchtigte sich.
    »Vor einer halben Stunde hat seine Frau die Polizei verständigt.«
    »So ein Scheiß.«
    »Er hat heute Morgen gegen halb acht sein Haus verlassen, um ein paar Dinge zu erledigen. Unter anderem wollte er zur Bank in Quimper, das macht er häufig dienstagmorgens, wenn es keine dringlichen Hausbesuche gibt. Um zwölf hätte er sich mit seiner Frau treffen sollen. Und er ist wohl immer pünktlich. Seine Frau machte einen ängstlichen Eindruck.«
    »Er ist noch keine zwei Stunden zu spät. Noch gibt es keinen Grund«, Dupin zögerte, »davon auszugehen, dass etwas Schlimmes passiert ist.«
    »Ich habe kein gutes Gefühl.«
    »Vielleicht gab es einen medizinischen Notfall, einer seiner Patienten. Etwas Akutes – und er hat noch nicht die Zeit gefunden, sich zu melden. Er ist Arzt.«
    Dupin glaubte selbst nicht daran. Ihm ging es, wenn er ehrlich war, genau wie Riwal. Auch, wenn es natürlich wirklich einige mögliche Erklärungen gab und Le Menn jederzeit wieder auftauchen konnte. Aber: Das Verschwinden zu diesem Zeitpunkt war ein zu großer Zufall.
    »Was ist eigentlich mit dem Vermissten von den Moutons, dem Angler?«
    Dupin hatte ihn am Abend zuvor vollkommen vergessen, auch heute Morgen, erst als sie mit dem Boot an den einsamen Moutons vorbeikamen, war er ihm wieder eingefallen.
    »Keine Neuigkeiten. Wir haben gecheckt, ob es Verbindungen zu den Glénan gab, ob er manchmal hierherkam und ob es Verbindungen zu den drei Toten gibt – nichts, weder-noch. Er hielt sich anscheinend immer zwischen dem Festland und den Moutons auf. Meistens war er in Küstennähe. Seine Frau erinnert sich nicht, dass er in den letzten Jahren bis hier rausgefahren ist. Und von irgendeiner Beziehung zu Lefort oder einem der beiden anderen wusste sie auch nichts.«
    »Das ist seltsam.«
    Riwal blickte den Kommissar fragend an.
    »Ich meine, diese Koinzidenz ist schon seltsam. Der Zeitpunkt. Die Nähe zum Tatort.«
    »Aber bisher kennen wir keinerlei Verbindungen. Und: Wir hatten einen ernsten Sturm. Da kommt es eben nicht selten vor, dass Menschen verschwinden.«
    Riwal hatte recht. Dupin war schon seit fast

Weitere Kostenlose Bücher