Bretonische Brandung
Sie zum Beispiel das Tychoplankton.«
Die Delphingruppe war in einem großen Halbkreis um das Heck des Schiffes geschwommen und dann nach einem, so schien es, finalen Sprung abgetaucht und verschwunden. Das Ganze hatte vielleicht fünfzehn Sekunden gedauert. Dupin versuchte sich mit aller Kraft wieder zu fassen.
»Ja, kommen wir zurück. Ich meine. Kommen wir zurück zu unserem Gespräch, Monsieur Leussot. Ich hatte Sie gefragt, seit wann Sie am Institut arbeiten?«
Leussot schaute etwas spitzbübisch, antwortete aber dann ganz sachlich.
»Ich bin als junger Mann hierhergekommen, vor fünfzehn Jahren. Nach dem Studium in Paris habe ich hier mit meinen Forschungen begonnen, promoviert, bin anschließend für ein paar Jahre nach Brest für größere Projekte und nun seit vier Jahren zurück. Als Lefort das erste Mal versuchte, seine Pläne durchzusetzen, war ich noch in Brest, kam aber häufig hierher. Leforts Pläne waren der Anstoß für mich, auch als Wissenschaftsjournalist zu arbeiten. Die Menschen müssen wissen, was vor sich geht.«
Es war evident, dass Leussot nicht einen Moment mehr an die Delphine gedacht hatte. Dupin hatte sich einigermaßen erfolgreich gezwungen, nicht noch einmal mit den Augen das Meer abzusuchen. Er kam sich schon jetzt lächerlich vor.
»Fünfzehn Jahre. – Dann auch Journalist. Nach Brest.«
Leussot blickte ernsthaft irritiert. Dupin musste sich disziplinieren.
»Muriel Lefort, Madame Menez, Madame Barrault, Monsieur – der Bürgermeister, Solenn Nuz und ihre Töchter, Monsieur Tanguy. Sie kennen sie alle persönlich?«
Jetzt blickte Leussot den Kommissar einen Augenblick lang an wie einen jungen, unbedarften Schüler.
»Wissen Sie – die Glénan. Das ist eine Welt für sich. Das ist schwer zu erklären, man muss es selbst erleben. Und im Quatre Vents kommen sie zusammen: die Bewohner dieser Welt und ihre stetigen Gäste. Wir kennen uns alle. Nicht als die, die wir außerhalb dieser Welt sind, sondern nur als die, die wir hier sind.«
Dupin verstand den Wortsinn nicht genau, aber er ahnte, was Leussot meinte. Und noch wichtiger: Er fand zurück ins Gespräch.
»Und sehen Sie bei einer Person Motive für eine solche Tat?«
»Der Ort zwingt einen nah zueinander, das Meer, der Atlantik, eng zusammen, viel enger, als man es will«, es war, als hätte Leussot Dupins Nachfrage gar nicht gehört, »sogar gegen den Willen der Einzelnen. Sympathien und Antipathien spielen manchmal gar keine Rolle, Feindschaften nicht, nicht mal Hass. Und noch wichtiger: Der Archipel bringt die Menschen zwar eng zusammen – und doch ist letztlich jeder für sich allein.«
Auch diese Sätze waren kryptisch, aber Dupin hatte das Gefühl, dass sie etwas Wichtiges fassten.
»Hass?«
Leussot zog scharf Luft durch die Nase.
»Ja.«
»Wen meinen Sie?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, ich meine niemand Konkreten.«
»Muriel und Lucas Lefort? Sie meinen die Geschwister? Oder Madame Menez und Lucas Lefort? – Sie selbst und Lucas Lefort?«
»Ich meine nichts Konkretes.«
»Sie würden uns sehr helfen.«
Leussot schwieg. Kein unfreundliches Schweigen. Aber eines, das deutlich machte, dass er nicht antworten würde.
»Und Sie haben vorgestern Abend natürlich nicht mit Pajot oder Konan gesprochen, nehme ich an.«
Leussot schaute fast amüsiert.
»Ich hätte mir nicht so viel Mühe mit dem Mord gegeben, glauben Sie mir. Sicher nicht.«
Er lachte. Leussot machte das sehr gut. Wäre er es gewesen – geschickter konnte man sich nicht verhalten.
»Das ist schon ein Ding! Eigentlich ein genialer Plan«, Leussot besann sich jetzt auf Dupins Frage, »nein. Ich saß so weit wie möglich von ihnen entfernt, das tue ich immer. Und ich habe den ganzen Abend über auch nichts Verdächtiges bemerkt. Gar nichts.«
Natürlich nicht, wäre Dupin fast herausgerutscht.
»Je nachdem, bei wem ich etwas Verdächtiges bemerkt hätte, würde ich es vielleicht auch vergessen haben, muss ich zugeben.«
Er lächelte wieder. Dupin ahnte, dass es Leussot mit diesem Satz ernst war.
»Gut, dann will ich Sie Ihren Fisch zubereiten lassen. Es ist ja wirklich Mittagszeit. Und ich weiß, was ich wissen wollte.«
Das stimmte. Er hatte viel erfahren.
Dupin hob die Hand und blickte zur Luc’hed hinüber. Die aufmerksamen jungen Polizisten hatten die Geste sofort verstanden und kletterten ohne Verzögerung ins Beiboot.
»Ja, ich werde jetzt essen. Und wieder an die Arbeit gehen. Rotalgen sind ungeduldige
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