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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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Wesen.«
    »Werden Sie den ganzen Tag auf dem Meer sein, Monsieur Leussot?«
    »Wir werden sehen.«
    Er deutete mit einer minimalen Kopfbewegung Richtung Westen, wo der Wolkenstreifen unleugbar dicker geworden war, auch wenn er noch weit weg war.
    »Eigentlich ja. Im Moment bin ich mehr oder weniger die ganze Woche auf dem Meer«, er lächelte, »Sie wissen also, wo Sie mich finden.«
    Das Beiboot hatte am Heck angelegt.
    »Bon appétit, Monsieur Leussot.«
    »Au revoir, Monsieur le Commissaire.«
    Wieder kletterte Dupin mit behänden Bewegungen in das kleine Boot, das im nächsten Moment bereits abdrehte und zurück zur Luc’hed fuhr. Er begutachtete währenddessen mit hochgezogenen Augenbrauen den Himmel, der – abgesehen von diesem wachsenden dunklen Streifen im Westen – unverändert blau war. Ein klein bisschen war Dupin hinsichtlich seiner eigenen Wettervoraussage verunsichert. Aber auch nicht übermäßig. Die Zeichen waren zu eindeutig: Grande Marée, Springflut, Vollmond, dann bliebe das Wetter dreißig Tage, wie es am Abend des Vollmondes war, so hatte er es sich gemerkt …
    »Monsieur le Commissaire, Inspektor Riwal hat uns eben angefunkt. Er muss Sie sprechen. Sie waren schon im Beiboot.«
    Der Kapitän hatte sich zu Dupin hinuntergebeugt und ihm die Hand angeboten, die Dupin dieses Mal annahm. Er hatte vergessen, dass er hier keinen Empfang hatte.
    »Sie sind in nicht mal zehn Minuten bei ihm, bei vollem Speed.«
    »Gut. Dann voller Speed.«
    Dupin konnte nicht glauben, was er da gesagt hatte.
    Die Luft schien völlig still zustehen, selbst die eigentlich immer vorhandene atlantische Brise war nicht mehr zu spüren. Dafür war es noch heißer als gestern. Ganz spät erst, wie aus dem Nichts, hatten sich die Inseln vor ihnen materialisiert. Und seltsamerweise alle auf einmal. Man hatte den Eindruck: in letzter Sekunde, bevor man an ihnen zerschellte.
    Dupin überkam für einen kurzen Moment eine unbestimmte Ahnung, die er rasch beiseiteschob. Er war damit befasst, im Geiste noch einmal die Gespräche durchzugehen, die er heute geführt hatte. Und er musste auch noch einmal an die Delphine denken.
    Sie fuhren an der lang gezogenen Sandbank von Guiriden vorbei. Für Dupin war sie vielleicht das Erstaunlichste an den ganzen Glénan. Bei Flut ein paar Felsen, ein bisschen Land und Grün drum herum, vielleicht zwanzig mal zwanzig Meter und dann – bei Ebbe – plötzlich zweihundert, dreihundert Meter einer grell blendenden Sandbank. Unglaublich weißer Sand, sanft abfallend, auch hier karibische Lagunen bildend. Es war fantastisch. Genau so, wie Henri es ihm letztes Jahr auf seinem bis vorgestern einzigen Trip zu den Glénan erzählt hatte. Dupin hatte sich zu einem Tag auf Henris nagelneuem Boot überreden lassen, einer Antares 7,80 – was er kolossal bereut hatte, so schön es auf Penfret auch gewesen war. Das hier war kein normaler Sand! Es war Korallensand! Es war keine bretonische Übertreibung, wie Dupin zunächst vermutet hatte. Es handelte sich tatsächlich um echten Korallensand. Und das gab es nur einmal in Europa, auf den Glénan. Auch Nolwenn hatte ihm das bereits ein paarmal eindringlich erläutert. Der Sand des Archipels bestand aus im Laufe von Millionen Jahren zerriebenen kalkigen Korallenskeletten. Schneeweiß, fein, aber fest dabei, nicht pulvrig-verwehend. »Das hat mit Sand nichts zu tun – kristallin kleine Korallenstücke«, er erinnerte sich wieder an Nolwenns Sätze. Selbstverständlich war bretonischer Sand allgemein kein ordinärer Sand, nicht irgendein Allerweltssand aus irgendwelchen gewöhnlichen Sandgesteinen; es war zumeist lupenreiner Granitsand. Sand, der sich aus dem urgewaltigen Granitrücken gelöst hatte, der die Bretagne geologisch gesehen eben war. Doch mochte das mit den Korallen schon spektakulär klingen, kam der echte Clou an der Sache erst noch: die Erklärung hierfür. Der Sand oder die Korallen nämlich waren nicht irgendwie hierhingeschwemmt worden, nein – genau hier waren sie einst selbst weiträumig gewachsen: große, prächtige Korallen. Genau hier – als sich die Bretagne noch in den Tropen befand. Es war kein Witz, keine Metapher, keine Analogie. Es war Realität. Dupin erinnerte sich an das erste Mal, da Nolwenn dies mit Stolz formuliert hatte: »Über lange Zeit waren wir eine exotische tropische Landschaft – im Herzen der Tropen.« Er hatte es fast zu kurios gefunden, um zu lachen, was Nolwenn mit entrüstetem Blick bemerkt und mit einem umso

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