Bretonische Brandung
der Kopf war nicht umschlossen, die heruntergezogene Kopfhaube schmiegte sich wie ein Rollkragen um den Hals. Um die Hüfte trug sie einen breiten schwarzen Gurt mit mehreren großen und kleinen Karabinerhaken. Anjela Barrault war nicht groß, trotz des Anzuges deutlich filigran, ihre halblangen, wild verwuschelten Haare waren blond in den verschiedensten Tönen und Schattierungen, jede Strähne anders, von dunklem Honigblond bis hin zu einem kühl aschigen skandinavischen Blond.
Dupin war etwas peinlich berührt, er hatte ihr, so sein Gefühl, zu lange und zu tief in die Augen geschaut, als sie sich begrüßt hatten. Ihre Augen besaßen, so schien es, exakt dieselbe Farbe und denselben strahlenden Glanz wie der Taucheranzug. Sie war braun gebrannt. Ein verschmitztes, dabei ganz aufrichtiges Lachen lag auf ihrem Gesicht. Sie war etwa Anfang vierzig und wahnsinnig attraktiv. Dupin hatte sich darauf verlegt, seinen Blick auf ihre Haare seitlich am Kopf zu fixieren. So war er nicht unhöflich, schaute nicht an ihr vorbei, lief aber auch nicht Gefahr, wieder in den Bann ihrer Augen zu geraten.
»Wie gesagt. Kommen Sie einfach mit.«
Dupin fiel keine passende Erwiderung ein. Er war fest entschlossen gewesen, dass es genug der Boote für heute gewesen waren – eigentlich für den ganzen Fall. Für das ganze Jahr.
»Ich …«
»Reichen Sie mir doch mal die Flasche.«
Die Bakounine, ein altes Fischerboot, lag, provisorisch vertäut, am Ende des langen Quais, die untere Hälfte war in einem leuchtenden Orangerot gestrichen, der obere Teil in ebenso leuchtendem Hellblau. Das waren die bretonischen Farbwelten, die Dupin so liebte: gelb, grün, rot, blau, alles in satten, warmen Tönen.
Anjela Barrault stand auf dem Boot, das sich hier in der Kammer nur dezent wiegte. Jetzt bei Flut befand sich das Deck fast auf gleicher Höhe wie der Quai, auf dem Dupin stand. Neben ihm lag ein Haufen Ausrüstung. Anzüge, Bleigurte, Flossen, Masken. Und eine blaue Flasche, die zwar nicht ganz dem Ton des Anzugs entsprach, aber daran erstaunlich nahe herankam. Dupin bückte sich und reichte sie ihr, beeindruckt von dem Gewicht, vorsichtig hinunter, nur ein schmaler Spalt war zwischen dem Quai und der Bakounine, zwischen ihm und der Leiterin des Tauchzentrums. Der aber führte zwei Meter in die Tiefe, unten plätscherte der Atlantik.
»Und die anderen Sachen?«
»Die sind für das zweite Boot«, sie deutete auf ein Boot, das an einer der Bojen in der Nähe des Quais lag.
»Wir haben mehrere.«
Dupin hatte immer noch keine Ahnung, was er sagen und tun sollte.
»Ich muss die Runde machen. Die Leute einsammeln und nach Penfret bringen. Nun kommen Sie doch.«
Ohne nachzudenken machte Dupin einen Satz. Anjela Barrault hatte gar nicht abgewartet, sondern mit ein paar schnellen Bewegungen die beiden Taue gelöst und sich in den schmalen Fahrstand mit einem überdimensionalen Steuer begeben.
»Sie müssen schon näher kommen, sonst werden wir kein Wort des anderen verstehen.«
Ehe Dupin reagieren konnte, war ein heftiges Vibrieren zu spüren, und der dröhendende Lärm eines schweren Dieselmotors setzte ein. Wasserfontänen spritzten am Heck aus den beiden Auswurfrohren hervor. Dupin bereute den leichtfertigen Sprung aufs Boot bereits. Im Rückwärtsgang verließ die Bakounine stotternd den Quai. Dupin näherte sich unsicher dem Fahrstand, das Vibrieren des Schiffes übertrug sich auf seinen gesamten Körper. Er wurde ein wenig verlegen, als er sich zu Madame Barrault in den engen Fahrstand zwängte. Ein Anzug, wie sie ihn trug, hatte nach seinem Gefühl wenig mit Kleidung zu tun.
»Sie haben jetzt also mit der ganzen Bagage hier zu tun. Mit uns sonderbaren Wesen dieses magischen Archipels.«
Sie hatte das »magisch« spitz ironisch gesprochen. Dupin hatte es nur mit Mühe verstanden, obwohl er sehr nahe bei ihr stand, genau in dem schmalen Türrahmen, zwischen den er sich mit den Ellenbogen geklemmt hatte.
»Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, Monsieur le Commissaire.«
Er musste lächeln. Was ihm guttat.
Anjela Barrault war damit beschäftigt, den Vorwärtsgang einzulegen, was anscheinend einige Mühe machte. Sie schlug heftig auf das Steuerrad.
»Ich liebe dieses Boot wirklich, aber langsam kommt es in die Jahre.«
Dupin ermahnte sich zur Konzentration.
»Und was meinen Sie mit ›sonderbar‹, Madame Barrault?«
»Oh, damit meine ich vieles. Das ist ein verrückter Fleck Erde. Der schönste, den ich kenne. Aber hart.
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