Brezeltango
Dank.«
Frenetischer Applaus brandete auf, ging in rhythmisches Klatschen über, Pfiffe gellten. Der Mann winkte mit einem breiten Lächeln bescheiden ab und vertiefte sich dann in ein Gespräch mit seinem Vorredner, der sich zu ihm herunterbeugte wie Pat zu Patachon.
»Ach, ist er nicht einfach wundervoll?«, seufzte neben mir eine Frau mit Rastahaaren. »Dieses unglaubliche Charisma. Er reißt die Leute so mit! Er ist extra aus Hamburg gekommen. Die sind einfach die Besten. Ich bin so froh, dass ich dabei war!«
»Patsy! So ein Zufall!«
»Ach, hallo! Hab leider deinen Namen vergessen. Hast du mittlerweile einen Job gefunden?«
»Ehrlich gesagt – nein.«
»Das wird schon. Ich häng auch noch bei
Düsentrieb
rum und lass mich von diesen zwei Chauvis rumscheuchen, die sich vor anderen damit brüsten, wie emanzipiert sie doch sind. Marc hat mir vor kurzem am Coffee-Maker von hinten über die Brust gewuschelt. Hallo, für wie unwiderstehlich hält sich der Fettsack? Eingestellt haben sie auch noch niemanden. Hast du mittlerweile was gefunden? Ach, hab ich dich ja schon gefragt. Sorry, muss zum Büfett!«
Da war sie nicht die Einzige. Mittlerweile war der Startschuss zum Rathaus-Ironman-Wettkampf gefallen: Wettlauf zum Büfett, daran anschließend Balancieren der überladenen Teller, ohne dass etwas runterfallen durfte, an den Nieten vorbei, die es noch nicht mal zum Büfett geschafft hatten, und zum Abschluss ein kleiner Boxkampf, um einen Platz an einem der wenigen Stehtische zu erobern.
Jemand winkte hektisch. Sir Simon hatte es irgendwie ganz nach vorne in die Schlange geschafft, zog mich vor sich und drückte mir einen Teller in die Hand. »Beim nächsten Mal muss das etwas schneller gehen«, sagte er. »Das hier ist nicht die Poleposition, es ist aber auch nicht schlecht.«
Das Häppchen-Angebot war mittlerweile sehr überschaubar. Mit unbeweglicher Miene sahen die Catering-Leute zu, wie sich das einstmals hübsch arrangierte Büfett unaufhaltsam in ein hässliches Schlachtfeld verwandelte. Links und rechts von mir wurde hektisch gestapelt und ich bekam den einen oder anderen Knuff in die Seite ab. Ich erwischte ein Gurken-Sandwich, ein Hackfleischbällchen, ein winziges Brezelchen, Kaviar auf einem Cracker und wählte zum krönenden Abschluss ein paniertes Schnitzelchen mit einem Scheibchen Zitrone, das mit einem völlig überflüssigen Salatblatt auf einer Scheibe Baguette aufgespießt war. Allerliebst! Es war das Letzte seiner Art. Meine Finger hatten schon fast das Brot berührt, als ich von rechts geschubst wurde. Das Baguette rutschte weg und befand sich plötzlich in langen Fingern, die nicht meine waren.
In diesem Augenblick langte Sir Simon an mir vorbei, packte das Handgelenk des Grapschers und umklammerte es fest. »Sie sind doch ein Gentleman«, sagte er zuckersüß. »Sicher haben Sie nicht gesehen, dass die Dame gerade das Brot nehmen wollte, oder?«
Wie ein Kranfahrer schwenkte er den Arm des Kerls, bis er über meinem Teller positioniert war. Das Brot fiel auf meinen Teller und Sir Simon ließ das Handgelenk los, auf dem sich rote Fingerabdrücke abzeichneten. Der Kerl war auch im Gesicht rot geworden und wandte sich ohne einen Mucks ab. Sir Simon lächelte ihm freundlich hinterher.
Wir kämpften uns durch das Chaos und fanden am anderen Ende, in der Nähe des Panoramafensters, einen freien Stehtisch mit Blick auf ein Fernsehturm-Modell. Sir Simons Teller war erstaunlich üppig bestückt, und er machte sich daran, seine Häppchen gleichmäßig auf unsere beiden Teller zu verteilen. Ich wehrte mich nicht, vor allem nicht gegen den gigantischen Schokomuffin, der mit einem Gebilde aus Sahne, Krokantstreuseln und Sirup verziert war.
Plötzlich tauchte der Werbeguru mit einem Glas Wasser in der Hand neben uns auf.
»Sie haben ja gar nichts zu essen«, sagte Sir Simon. »Kann ich Ihnen noch etwas anbieten?«
»Sehr freundlich, aber ich bin schon großzügig versorgt worden.« Er deutete auf meinen Teller. »Mögen Sie Cupcakes?«
»Cupcakes? Ich dachte, das ist ein Muffin.«
Er schüttelte den Kopf. »Muffin war gestern. Wir hatten die Idee, die Muffins in Cupcakes umzubenennen. Hat einen Riesenschub gegeben. Frauenzeitschriften, Backbücher, Cupcake-Formen, Cupcake-Läden mit Cupcake-to-go. Ein Mega-Hype. So einfach funktioniert das. Man muss nicht mal was Neues erfindn.«
Ich nahm all meinen Mut zusammen. »Ihre Agentur ist in Hamburg?«, fragte ich.
»Ja, wieso?«
Ich seufzte.
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