Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
Vom Netzwerk:
»Ehrlich gesagt suche ich einen Job. Aber eigentlich lieber hier in der Region.«
    Er lächelte. »Wir agiern deutschlandweit. Wir haben auch eine Niederlassung in Stuttgart. Was suchn Sie denn?«
    »Eigentlich bin ich Texterin.« Obwohl. Nach dem desaströsen Vorstellungsgespräch in Cannstatt vor ein paar Wochen war ich mir da nicht mehr so sicher.
    Er zog ein silbernes Etui aus der Innentasche seines Jacketts und holte ein Visitenkärtchen heraus. »Hier. Schickn Sie mir eine Mail mit Ihren Unterlagen und beziehn Sie sich auf die Aufzuggeschichte, damit ich Sie einordnen kann. Ich kriege jedn Tag an die dreihundert Mails. Vielleicht kann ich was für Sie tun. Die Stuttgarter Kollegen habn grade einen Engpass.«
    »Wirklich? Das wäre – das wäre einfach toll.«
    »Ich kann Ihnen nichts versprechn. Aber immerhin haben Sie mir vorhin aus der Patsche geholfn. Eine Hand wäscht die andere.« Er nickte uns beiden zu und war Sekunden später verschwunden.
    Ich starrte auf die Visitenkarte.
Friends and Foes
. Mir sagte der Name der Agentur nichts. Aber vielleicht hatte ich ja endlich Glück ...
    »Vielleicht klappt es ja«, sagte Sir Simon aufmunternd. »Und jetzt sollten wir allmählich besser gehen.«
    Wir verabschiedeten uns vor dem Rathaus. Sir Simon wollte den Nachmittag noch für weitere
Trottoir
-Verkäufe nutzen. Ich bedankte mich bei ihm und versprach, mal wieder vorbeizukommen und ihm zu berichten, was aus der Bewerbung geworden war. Dann kettete ich das Rad los und fuhr die paar Meter zur Stadtbücherei. Lustlos blätterte ich durch die überregionalen Zeitungen. Bevor ich mir die Arbeit mit neuen Bewerbungen machte, würde ich erst mal abwarten, was bei der Geschichte mit dem Hamburger Werbeguru herauskam. Da ich schon mal hier war, ging ich in den ersten Stock und sah mir »Michel aus Lönneberga« auf DVD an. Als ich die Stadtbücherei verließ, war es stockdunkel. Scheußlich!
    Hoffentlich war Lila allein zu Hause! Ich hatte keine Lust, ihre glückliche Beziehung zu besichtigen. Okay, Lila war auch monatelang Zeugin meiner trauten Zweisamkeit mit Leon gewesen und hatte sich nie darüber beschwert. Trotzdem. Heute wollte ich meine Freundin für mich haben, eine Flasche Wein trinken und ein paar lustige Anekdoten hören, um mich abzulenken. Leider hatte die Zahl der Anekdoten in letzter Zeit deutlich abgenommen. Lila verbrachte ihre Wochenenden jetzt mit Harald und hatte keine Zeit mehr für Sonntagskrisentelefonate. Das führte dazu, dass der Anrufbeantworter am Sonntagabend nur so überquoll von Rückrufbitten, die die Frustrierten in flehendem Ton hinterließen. Sicher hatte die Telefonseelsorge jetzt mehr Arbeit. Nur wenn Harald seine beiden Kinder, die sonst bei ihrer Mutter in Schorndorf lebten, übers Wochenende zu sich in die geräumige Altbauwohnung über der Zahnarztpraxis holte, hatten die Anrufer und ich mehr von Lila. Allerdings traf sie sich in letzter Zeit häufig mit einer Arbeitskollegin, um die geheimnisvolle Aktion zu planen, von der sie im Sommer erzählt hatte. Bisher hatte sie keine Details verraten wollen, nur, dass es irgendwie um Pflanzen ging.
    Die Küche war hell erleuchtet. Harald begleitete »Satisfaction« mit inbrünstigem Krächzen. Was Musik betraf, war er ein alter Rocker. Da hatte ich wohl Pech gehabt. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich leise die Treppe hinauf in mein Zimmer schleichen und mich ohne Abendbrot ins Bett legen sollte. Dann konnte ich mich ausführlich bemitleiden, weil ich wieder Single war. Der einzige Single in ganz Stuttgart. Ich zog die Schuhe aus und setzte einen Fuß auf die Treppe.
    »Line!«, rief Lila aus der Küche. »Gut, dass du kommst. Wir brauchen deine Hilfe!«
    Ich seufzte erleichtert. Die Keiner-hat-klein-Line-lieb-Nummer war sowieso total doof. Ich öffnete die Küchentür und dachte im ersten Moment, Lila und Harald hätten mit der Weihnachtsbäckerei angefangen. Lila hatte ihre Hände in einer Schüssel. Das war an sich kein ungewöhnlicher Anblick, aber statt Mehl zu kneten, manschte sie in einer dunklen Masse herum. Staunend wanderte ich durch die Küche. Überall waren Eimer und Kübel verteilt, die mit Erde, Wasser oder rotem Pulver gefüllt waren. Der Küchentisch war mit Zeitungspapier abgedeckt, darauf lagen kleine Samenhäufchen und Kuchenbleche mit braunen Kugeln, die an diese grauenhaft gesunden Energiebällchen erinnerten. Dazwischen standen zwei halb volle Weingläser mit erdverschmierten Stielen und ziemlich

Weitere Kostenlose Bücher