Brezeltango
muss ich wirklich schlafen. Weißt du was, ich komme morgen Abend zu euch und du erzählst mir alles in Ruhe. Vielleicht kocht uns Lila ja was Feines, wenn wir sie lieb bitten.«
»Ja, natürlich«, sagte ich lahm. »Schlaf gut, und viel Erfolg mit dem Meeting.«
»Du auch, meine Süße. Du fehlst mir. Das Bett ist sehr groß ohne dich.«
Er legte auf. Ich wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.
Der Beamte sah mich an und räusperte sich. »Also, wenn Sie zur Ablenkung was zum Lesen wollen, könnte ich Ihnen noch unsere Lektüre anbieten.« Er öffnete eine Schublade, auf der ein von Hand gekritzelter Zettel klebte, auf dem »Gefangenen Lektüre« stand. Innen reihte sich Buchrücken an Buchrücken. Der Beamte zog ein Buch heraus. »Hier, das habe ich selber schon gelesen«, sagte er. »Lenkt auf jeden Fall ab. Gibt’s ja auch als Film.« Er reichte mir die zerfledderte Taschenbuchausgabe von »Das Schweigen der Lämmer.«
Ich blickte in die Schublade. Im Angebot waren außerdem eine Geschichtensammlung von Edgar Allan Poe, »Rebecca« von Daphne du Maurier, »Wahn« von Stephen King, außerdem »Frankenstein«, »Der Exorzist« und zwei Titel, die mir nichts sagten: »Der Zellenmörder« und »Tod am Pragsattel«.
»Äh, vielen Dank«, sagte ich. »Ich glaube, ich versuche doch lieber zu schlafen.«
An Schlaf war jedoch nicht zu denken. Erregt lief ich in der Zelle auf und ab. Das war doch wirklich das Allerletzte! Ich durchlitt den grauenhaftesten Tag meines Lebens und zerbrach mir trotzdem noch den Kopf, ob mein Freund gerade einen Nervenzusammenbruch bekam, weil er sich um mich sorgte, und in Wirklichkeit hatte der Kerl seelenruhig im Kino gesessen, auf dem
gemeinsamen
Kuschelsitz, war anschließend nach Hause gegangen und hatte sich ins Bett gelegt! Leon liebte mich nicht. Er konnte mich nicht lieben. Es war vollkommen ausgeschlossen!
Zu allem Übel fiel mir auch noch eine
Brigitte
ein, die mir meine Schwester Katharina bei meinem letzten Besuch mitgegeben hatte. In der Psycho-Sektion war doch so ein Artikel gewesen: »Wenn Männer durch die Blume reden.« Darin ging es um die versteckten Botschaften, die Männer so aussendeten. Er sagte beispielsweise: »Findest du mich eigentlich zu dick?«, meinte damit aber, dass er kurz davorstand, eine Affäre mit der netten Kollegin vom Controlling anzufangen, aber nicht sicher war, ob die ihn attraktiv genug fand. Besonders besorgniserregend wurde es, wenn der Mann den Körperkontakt verweigerte oder desinteressiert reagierte, wenn die Frau sich auszog. Die Paartherapeutin riet dazu, die versteckten Botschaften zu hören, zu analysieren und, falls erforderlich, Gegenmaßnahmen einzuleiten, bevor es zu spät war und der Lover abhaute. Fieberhaft lief ich im Kreis und versuchte, mich an jede Einzelheit des Telefonats mit Leon zu erinnern. Hatte er in Rätseln oder Andeutungen gesprochen? Hmm. Eigentlich nicht. Eigentlich drückte sich Leon immer sehr verständlich aus. Aber vielleicht hatte ich die versteckte Botschaft nur deshalb nicht entschlüsselt, weil sie so versteckt war? Hatte es in letzter Zeit Hinweise darauf gegeben, dass Leon mich verlassen wollte, und das war der Anfang vom Ende? Mir fiel nichts ein. Leon war immer gleich liebevoll zu mir gewesen. Er nahm mich manchmal auf den Arm, okay. Dass er den Körperkontakt verweigerte, konnte man ihm nun wirklich nicht unterstellen. Andererseits war Leon Hamburger. Sicher machte sich der Mentalitätsunterschied auch sprachlich bemerkbar, ich hatte es nur vor lauter Kulturkonflikt noch nicht bemerkt!
Allmählich fielen mir bei meinem rastlosen Gang im Kreis die Augen zu. Nun gut. Im Augenblick würde ich nicht weiterkommen. Und für heute reichte es. Es reichte wirklich. Ich wickelte die kratzige Decke um mich und legte mich auf die harte Pritsche. Dann schreckte ich noch einmal hoch. Das Herz! Das Herz auf der Nachricht, die mir Leon am Morgen hinterlassen hatte. Es war total wacklig gewesen! Wie von einem Kind gemalt! Wackelte unsere Liebe? Ich würde am nächsten Tag noch einmal darüber nachdenken müssen.
Irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und ich fiel in wirre Träume, in denen es von Polizeibeamten nur so wimmelte. Immer wieder ging das Licht an. Ich streckte die nackten Füße unter der Decke hervor und wackelte ein bisschen mit den Zehen. Zu mehr war ich nicht fähig. Am frühen Morgen fiel ich in einen bleiernen Schlaf.
»Guten Morgen! Wollen Sie Frühstück?«
Ich fuhr hoch und
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