Brezeltango
Gugubu-Kinderwagen gesorgt.«
»Bestimmt stand sie unter Schock. Außerdem bist du doch für dich selber verantwortlich«, sagte Lila streng. »Abgesehen davon: Hast du mir nicht erzählt, das Katastrophen-Gen hätte sich vor lauter bedingungsloser Liebe selber deaktiviert?«
»Das hat mit dem Katastrophen-Gen überhaupt nichts zu tun. Und selbst wenn. Dann war es eben das letzte Aufbäumen. Todeszuckungen sozusagen.«
»Wir reden heute Abend weiter. Die Kids haben angefangen, verbotene Spiele am PC zu spielen, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen.« Im Hintergrund war Gewehr-Geknatter zu hören. »Bist du zu Hause?«
»Leon lässt fragen, ob du was Feines für uns kochst. Ich geh auch einkaufen.«
»Ich kann selber nicht vernünftig essen. Ich hab seit gestern Abend schreckliche Zahnschmerzen.«
»O je«, sagte ich mitfühlend.
Zahnschmerzen, das war etwa so, wie wenn man »Driving Home for Christmas« auch noch im Januar ertragen musste.
»Ich könnte ja einen Nudelauflauf aus Dinkelvollkornpenne machen. Das ist schön weich.«
Eigentlich war mir mehr nach Trost Hawaii.
Lila gab noch rasch die Ergänzungen für die Einkaufsliste durch, bevor sie sich verabschiedete.
Jetzt fehlten noch zwei Nachrichten vom Anrufbeantworter.
Eine Frauenstimme: »Guten Tag, Frau Praetorius, hier ist die BILD-Zeitung in Esslingen. Würden Sie mich mal bitte kurz zurückrufen? Ich würde gerne ein Telefoninterview mit Ihnen machen. Dauert nur fünf Minuten.«
Aaaarggg! Hatte ich es nicht geahnt? Eigentlich hatte ich ja Nerven wie Drahtseile, aber jetzt flatterten sie wieder wie aufgescheuchte Hühner.
»Hallo Line, hier ist noch mal Simon. Der Polizeibericht ist vorher raus und ich fürchte, dass irgendwie dein Name durchgesickert ist. Es kann also sein, dass du Presseanrufe kriegst. Aber keine Sorge, die wissen nicht, wo du wohnst.«
Das war ja in der Tat sehr beruhigend. In diesem Augenblick klingelte zur Abwechslung das Telefon. Ich nahm ab, holte tief Luft und sagte mit monotoner Stimme: »Guten Tag, hier ist der automatische Anrufbeantworter von Juliane Jakob und Pipeline Praetorius am Anna-Scheufele-Platz in Stuttgart-Kaltental. Wir sind auf einer Dschungelexpedition in Venezuela und leider telefonisch nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Klingeln, wir rufen dann nach unserer Rückkehr Anfang Oktober gleich zurück.« Dann ließ ich den Schalter von Lilas altem Küchenwecker vor- und zurückschnappen. Es klingelte und einen Augenblick blieb es still.
»Grüß Gott, hier ist Michael Durchdaslaub, Stuttgarter Zeitung. Wir haben gerade den Polizeibericht erhalten ...«
»Stuttgarter Nachrichten, würden Sie uns freundlicherweise zurückrufen ...«
»Esslinger Zeitung, wir haben von der Geschichte mit dem Kinderwagen gehört und würden gerne ...«
»... SWR 1 Baden-Württemberg ...«
»... Gerlinger Anzeiger ...«
Nachdem ich eine Dreiviertelstunde lang behauptet hatte, ich sei im Dschungel von Venezuela und würde in Kaltental wohnen, schaltete ich den Anrufbeantworter ab und beschloss, einkaufen zu gehen. Ich hatte ja sowieso keinen Einfluss darauf, was die Zeitungen schreiben würden. Jetzt fehlte eigentlich nur noch ein nettes kleines Filmchen auf YouTube, von einem zufälligen Passanten im Kurpark aufgenommen.
Rasch schickte ich Leon noch eine kurze Mail ins Büro, dass es mit dem Abendessen klappen würde. Auf Einzelheiten verzichtete ich. Dann setzte ich meine große Angelina-Jolie-Sonnenbrille auf und spähte vorsichtig erst aus dem Fenster, dann aus der Haustür. Außer einer Nachbarin, die ein paar Häuser weiter in ihrem schmalen Gärtchen werkelte, war niemand zu sehen.
Ich hatte mich vor einigen Monaten schon einmal tarnen müssen. Der amerikanische Fotograf Eric M. Hollister, in den ich ein bisschen verliebt gewesen war, hatte ein schreckliches Foto von mir an eine Werbeagentur verkauft, ohne es mir zu sagen. Ganz Stuttgart war daraufhin mit der Werbung für McGöckele, einem Hähnchen-Schnellimbiss, vollgepflastert gewesen. Eine grauenhafte Erfahrung!
Ohne weitere Zwischenfälle erledigte ich meine Einkäufe. Als ich zurückkam, saß Lila in der Küche und trank ihren Ayurveda-Entspannungstee. Den schien sie heute besonders nötig zu haben.
»Hallo, Lila, was machen die Zahnschmerzen?«
»Den Zahnschmerzen geht’s prächtig, danke der Nachfrage«, sagte Lila grimmig. »Ich fange gleich mit dem Kochen an, das wird mich ablenken. Die Zahnschmerzen hoffentlich auch.«
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