Brezeltango
Winteressen?«, fragte Leon.
»Linsen und Spätzle geht bei mir immer, und niemand kocht sie so gut wie Dorle. Ich lege dann eine Gedenkminute an dich ein, wie du dich mit dem Mountainbike im Schwarzwald die Berge hochquälst.«
»Ich quäle mich nicht, Line. Ich hab die Tour ja freiwillig gebucht.«
Abgesehen von ihren gelegentlichen Sprachproblemen verstanden sich Leon und Dorle prächtig. Leon hatte bei Dorle von Anfang an einen Stein im Brett gehabt. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen ihres Alters hielt Dorle es durchaus für möglich, dass eine Schwäbin auch mit einem »Reigschmeckten« glücklich werden konnte.
»Ich mache mir ein bisschen Sorgen um Dorle«, sagte ich.
»Warum?«, fragte Lila und verteilte großzügige Auflaufportionen.
»Ihre Verlobung ist doch nun schon eine ganze Weile her, aber von Hochzeit ist irgendwie nie die Rede! Ich meine, rein biologisch betrachtet ist die Zeit, die ihr für ein gemeinsames Eheleben bleibt, ziemlich begrenzt. Warum lassen sich die beiden dann so viel Zeit mit dem Heiraten? Dorle ist 80 und Karle wird demnächst 82.«
Leon schluckte einen Bissen hinunter. »Köstlich, dieser Auflauf. – Na ja, für die Silberhochzeit wird es vermutlich nicht mehr reichen«, sagte er. »Aber die Hauptsache ist doch, dass die beiden miteinander glücklich sind, ob mit oder ohne Trauschein.«
»Das ist es ja gerade«, sagte ich. »Vielleicht stimmt irgendetwas nicht, Karle hat einen Rückzieher gemacht, und Dorle ist es peinlich?«
»Du kannst sie ja fragen, wenn du sie besuchst«, sagte Lila und schob eine Vollkornnudel auf ihrem Teller von links nach rechts.
»Ich weiß nicht so recht, ob man seine achtzigjährige Großtante nach ihren Beziehungsproblemen fragt«, sagte ich.
»... oder nach ihrem Sexualleben«, ergänzte Leon.
»Pfui, Leon«, sagte ich. »Jemand, der so pietistisch ist wie Dorle, würde niemals vor der Hochzeit seine Jungfräulichkeit verlieren. Außerdem ist das das letzte Thema, über das ich mit Dorle reden würde. Aber schließlich hat sie schon einmal einen Schlaganfall gehabt. Wer weiß denn schon, wie lange sie noch lebt?«
Lila schob ihren Teller zurück. Sie hatte den Nudelauflauf kaum angerührt. »So, ihr beiden Turteltäubchen, ich lege mich jetzt in der trauten Begleitung eines Eisbeutels ins Bett und versuche zu schlafen. Morgen hat sich der Zahn dann hoffentlich beruhigt. Macht nicht so viel Krach neben mir. Ich überlasse euch den Abwasch.«
»Ja, klar«, sagte Leon. »Jetzt hast du selber kaum was gegessen. Gute Besserung!«
Lila zog ab.
»Wie wäre es, wenn wir uns mit diesem leckeren Pinot Grigio, den ich mitgebracht habe, noch ein bisschen raussetzen in den lauen Sommerabend?«, sagte Leon.
»Supi Idee. Du kannst ja schon mal die Gartenstühle arrangieren, ich mache den Wein auf.«
»Soll ich nicht lieber ...?«, sagte Leon zweifelnd.
»Ich bitte dich«, gab ich würdevoll zurück. »Mit 32 werde ich doch wohl noch eine Flasche Wein aufmachen können! Lila und ich trinken schließlich auch Wein.« Das war aber in der Regel »Cannstatter Zuckerle«-Riesling, den Lila von ihren Eltern mitbrachte, und der hatte einen Schraubverschluss. Eigentlich öffnete ich nie Weinflaschen. Ich kramte in der Schublade nach einem Korkenzieher und fand unter ein paar ramponierten Papierschirmchen so ein lustiges Ding mit zwei Ärmchen links und rechts. Das war völlig unproblematisch. Man drehte es rein, dabei gingen die Ärmchen wie von alleine nach oben und man konnte den Korken ohne Probleme rausziehen. Ich setzte den Korkenzieher an und drehte. Ich drehte und drehte und drehte und die Ärmchen bewegten sich kein bisschen. Der Korken auch nicht.
»Alles klar, Line?«, rief Leon von draußen.
Meine Güte, traute der Kerl mir denn überhaupt nichts zu? Mittlerweile war der Korken von der ganzen Dreherei ziemlich abgebröselt und noch immer tat sich nichts. Ob ich Leon um Hilfe bitten sollte? Aber das ging nun wirklich gar nicht. Die Frau ist zu doof zum Weinflaschenöffnen und ruft ihren Typen zu Hilfe! Na gut. Ich nahm ein Küchenmesser und drosch so lange mit dem Griff auf den Korken ein, bis er in die Flasche rutschte. Dann goss ich zwei Weingläser voll, ließ die Flasche stehen und ging hinaus. Ich reichte Leon das Glas ohne Korkreste. Wir stießen an.
»Hmm. Schmeckt irgendwie nach Kork«, sagte Leon.
»Also, ich schmeck nix«, beteuerte ich.
Die Hitze stand noch immer in der Neuffenstraße. Weil es hier Gärtchen anstelle von
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