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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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Mountainbike-Gruppe? Hatte er schon eine original Schwarzwälder gegessen? Aber wenigstens gab es eine Erklärung dafür, warum er sich nicht gemeldet hatte. Und er vermisste mich!
    Ein paar Minuten später kamen Männerschritte die Treppe herunter. Eine kräftige Hand, die sich zu meiner Erleichterung an einem komplett angezogenen Mann befand, drückte meine.
    »Hallöle. I ben dr Harald. I lass eich Fraua glei en Ruh. I han dr Juliane bloß a baar Bloma vorbeibrenga wälla. Mir sähn ons. On wenn mol ebbes mit deine Zäh isch, gibsch Bscheid. Des macha mr dann ohne Versicherongskärtle.« Er nickte mir zu, dann ging er zur Tür. Die Abschiedszeremonie mit Lila zog sich hin.
    Um mich zu beschäftigen, schnitt ich die Zwiebel fertig. Endlich kam Lila in die Küche.
    »Hallo«, sagte ich und wischte mir die Tränen weg. »Toller Strauß!«
    War sie ansprechbar?
    Lila blickte stirnrunzelnd auf die Zwiebelstücke. »Vielleicht gießt du uns ein Gläschen Weißwein ein und ich koche?«, sagte sie.
    Uff. Sie war wieder ganz die Alte.
    Am nächsten Tag ging ich wieder in den Park, las das Vampirbuch zu Ende und übte zwischendurch den Zaubertrick. Es klappte ganz gut. Noch war ich nicht nervös. Nach der SMS von Leon und dem Abend mit Lila fühlte ich mich viel besser. Lila und ich hatten gemütlich getratscht und sie hatte ein bisschen von Harald erzählt. Sie beschrieb ihn mit sehr vielen Adjektiven – toll, attraktiv, fürsorglich, humorvoll, liebevoll, verantwortungsbewusst et cetera. Es klang ein bisschen wie eine gesprochene Kontaktanzeige. Mannomann, die hatte es ganz schön erwischt.
    Am späten Nachmittag fuhr ich mit der Stadtbahn in das kleine, unbesiegbare Dorf in der Nähe von Stuttgart, das sich erfolgreich gegen die Eingemeindung durch die Metropole gewehrt hatte. Ich hatte keine große Lust, meine Mutter zu besuchen, aber ich konnte ja schlecht zu Dorle, ohne auch bei ihr vorbeizuschauen. Schließlich lag nur eine Straße zwischen beiden Häusern.
    Meine Mutter war, vorsichtig formuliert, etwas exzentrisch. Sie hatte meinen Vater in Sibirien kennengelernt, kam aber eigentlich aus Moskau. Wir Kinder waren deshalb zweisprachig aufgewachsen. Olga hatte ihren eigenen, eigenwilligen Weg gefunden, mit der schwäbischen Schaffermentalität umzugehen. Mehr und mehr hatte sie sich zurückgezogen, bis sie irgendwann den ganzen Tag im Bügelzimmer unseres Hauses verbrachte. Weil mit unserem Vater auch nicht wirklich zu rechnen war, erzogen Katharina und ich uns selber, unterstützt von Dorle.
    Ich drückte die Haustür auf, die nie abgeschlossen war, ging in den ersten Stock und klopfte.
    »Herein«, kam es von innen.
    Olga saß mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa. Ihre makellose Haut sah nicht so aus, als ob sie im Sommer vor die Tür gegangen wäre, und das dunkle Haar fiel ihr noch immer ohne jede graue Strähne auf die Schultern. Ich küsste sie auf die Wange, sie lächelte mich an und klopfte mit der Hand einladend neben sich auf das Sofa. Wenn man sie so anschaute, wusste man, warum Katharina wie ein Double von Audrey Hepburn aussah, während ich mehr Charlie Chaplin nachschlug.
    »Ich freue mich, dich zu sehen.« Sie hatte noch immer die langgezogene Aussprache der Moskowiter. »Wie geht es dir?«
    »Ganz gut«, sagte ich. »Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch.« Mein Russisch klang mir fremd in den Ohren.
    Eine Weile unterhielten wir uns artig, wie zwei Bekannte, die sich nach Jahren zufällig in der S-Bahn treffen.
    »Sag, bist du glücklich mit deinem Freund?«, fragte Olga schließlich.
    »Ja, natürlich«, antwortete ich rasch.
    »Das ist schön«, sagte Olga freundlich. »Geht er denn auch in die Oper? Und liest er?«
    »Olga, das spielt doch überhaupt keine Rolle«, sagte ich ärgerlich. Gleichzeitig fühlte ich mich ertappt. Die einzige Weisheit, die Olga uns mit auf den Weg gegeben hatte, war, einen Mann zu suchen, der Bücher und die Oper liebte. Vielleicht weil bei meinem Vater in dieser Hinsicht nicht viel zu holen war? Der war Ingenieur. Wie Leon. »Die Hauptsache ist doch, dass ich glücklich bin! Und soll ich dir sagen, warum ich ganz sicher bin, dass wir zueinander passen? Ich merke nichts mehr vom Katastrophen-Gen.«
    Olga sah mich an und lächelte. »Das Katastrophen-Gen ist ein Teil von dir. Es mag vielleicht Zeiten geben, wo du nicht so viel davon merkst. Da schlummert es nur ... Es gehört zu dir, und es macht dich einzigartig.«
    »Woher willst du das so genau wissen?«, fragte

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