Brezeltango
verschdohd. Aber des hoißd net, dass dei Mamme dich nemme lieb hot.« Harald sah Lena teilnahmsvoll an.
Die schluchzte nur und klammerte sich an mich wie ein kleines Äffchen. Wir saßen in der Küche. Ein paar Minuten nach mir waren Lila und Harald vom Biergarten im Schlosspark eingetroffen. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich ein vernünftiges Wort aus Lena herausbrachte. Ein Streit ihrer Eltern hatte sie geweckt. Der Streit war immer lauter geworden, und irgendwann hatte Katharina Frank schluchzend eröffnet, dass sie sich seit Monaten mit einem anderen Mann traf. Daraufhin hatte Lena ein kleines Köfferchen gepackt und war durchs Fenster ihres Zimmers abgehauen.
Jetzt warteten wir auf Frank. Auf dem Anrufbeantworter waren bereits mehrere verzweifelte Nachrichten von Katharina gewesen. Lenas Flucht war nicht unbemerkt geblieben, auch die Polizei war schon alarmiert. Während Katharina in Tränen der Erleichterung ausbrach, als ich sie zurückrief, hängte sich Lena heulend an meinen Arm und versuchte, mich am Telefonieren zu hindern, weil sie sich von mir verraten fühlte. Lila zog sie von mir weg und bemühte sich, sie zu beruhigen. Irgendwann war sie völlig erschöpft und kletterte auf meinen Schoß. Eigentlich hatte sie sich solchen Kinderkram schon längst abgewöhnt.
»Warum kann ich nicht bei dir bleiben? Bitte. Ich bin auch ganz brav und mach gar keinen Krach. Du wirst nicht mal merken, dass ich da bin!«
Ich strich Lena übers Haar. »Lena«, sagte ich behutsam. »Ich bin immer für dich da, aber ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.«
»Warum nicht?«, fragte Lena. Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen.
»Weil ... weil ... du in die Schule gehen musst.« Das klang wirklich total überzeugend. »Und weil du zu deiner Familie gehörst.« Oder zu dem, was von der Familie noch übrig war. »Denk doch nur, was soll denn der Salo ohne dich machen?«
»Salo ist ein kleines Baby«, sagte Lena verächtlich. »Mit dem kann ich nicht reden.«
»Wie hast du überhaupt hierher gefunden?«
Lena war nur einmal mit ihren Eltern in der Neuffenstraße zu Besuch gewesen, natürlich mit dem Auto.
Sie zuckte die Schultern. »Ist doch kinderleicht. Ich hab einen Internetanschluss im Zimmer und erst hab ich den Stadtplan gegoogelt. Wie man den Fahrplan vom VVS elektronisch abruft, weiß ich schon längst. Dann hab ich halt die S-Bahn bis zum Hauptbahnhof genommen, dann den Bus. Supereasy.«
»Klar doch«, sagte ich und schluckte. »Blöde Frage. Schließlich bist du schon acht.«
Es klingelte. Lena fing wieder an zu weinen. Ich schob sie sanft von meinem Schoß und öffnete die Haustür.
Frank hatte die Hände tief in den Taschen vergraben, sein Gesicht ließ keine Regung erkennen. »Hallo. Danke, dass du dich um Lena gekümmert hast.«
»Willst du sie nicht doch über Nacht hierlassen? Damit sie sich beruhigen kann?«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, knurrte Frank. »Sie geht morgen in die Schule.«
War Schule wirklich so wichtig, in Lenas Zustand?
»Sei nicht so hart zu ihr«, sagte ich. »Sie ist total fertig.«
»Danke für die Ratschläge, aber ich bin schon eine Weile Vater«, antwortete Frank kühl. »Und dieses Riesendrama haben wir ja wohl deiner Schwester zu verdanken.« Er ging an mir vorbei und kam Sekunden später mit dem Köfferchen in der einen und einer sich sträubenden Lena an der anderen Hand zurück.
Ich umarmte sie rasch. »Pass auf dich auf, Kleines«, flüsterte ich. »Ruf mich an, wenn du quatschen willst.«
Ich ging zurück in die Küche.
»I däd saga, jetz essad mir amol den Käskucha noch der ganza Heilerei«, sagte Harald.
»Gute Idee«, sagte Lila.
Lena hatte den als Trostpflaster gedachten Käsekuchen nicht mal angerührt. Eine Weile aßen wir schweigend. Der Kuchen schmeckte nach glücklichen Kindheitstagen und heiler Welt.
»Ich hab’s dir immer prophezeit, dass das irgendwann passiert«, sagte Lila düster und schob den Kuchenteller zurück. »Ich versteh auch wirklich nicht, wie Katharina es so lange mit dem Typen ausgehalten hat.« Sie wandte sich an Harald. »Du solltest ihre Schwester mal sehen. Die könnte jeden Mann auf der Welt haben, so, wie die aussieht. Je-den.«
Ich konnte Haralds Blick auf mir spüren. Wahrscheinlich fiel es ihm schwer, das zu glauben.
Ich seufzte. »Ich hab dir das ja nie abgenommen. Ich dachte immer, Katharina ist viel zu brav und zu pflichtbewusst, um mit einem anderen Mann was anzufangen. Die kriegt doch gar
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