Brezeltango
neben einem der Kanus in die Hocke gegangen und winkte.
»Komm, steig ein. Ich halte das Kajak fest.«
Ich kletterte hinein und wusste nicht, was mehr wackelte, das Boot oder meine Knie.
Leon drückte mir ein Paddel in die Hand und führte mir mit seinem Paddel kreisende Bewegungen vor. »Siehst du, so. Immer schön abwechselnd im Rhythmus eintauchen.«
Ungelenk versuchte ich die Bewegung nachzuahmen. Auf dem Steg saßen Leute im Café und feixten.
Leon nahm den Picknickkorb und platzierte ihn vor meinen Füßen. »Es macht dir nichts aus, oder? Du hast die kürzeren Beine.« Dann kletterte er in sein eigenes Kajak. »Los geht’s!«, rief er vergnügt.
Ich stieß mich mit der Hand ab, tauchte das Paddel hektisch ein und war innerhalb von drei Sekunden zwischen Bootssteg und grünem Ruderboot eingeklemmt. Die Leute im Café lachten. Einer der Mafia-Männer bugsierte mich zurück in die Ausgangsposition. Beim zweiten Versuch klappte es besser und ich schaffte es hinaus aufs Wasser. Das Kajak eierte hin und her, nach kurzer Zeit war ich ziemlich nass, weil das Wasser nach jedem Eintauchen vom Paddel auf mich hinuntertropfte, und ich hatte Panik davor, mit einem anderen Boot zusammenzustoßen. Leon dagegen war völlig in seinem Element, gab mir Anweisungen und erzählte Anekdoten über die Bewohner der prachtvollen Villen, die das Ufer säumten. Ich hörte überhaupt nicht zu. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, nirgends dagegenzurumsen.
Ich fing gerade an, mich etwas zu entspannen, als wir in einen breiteren Kanal einbogen. Hier war ja noch mehr Verkehr als auf dem Pragsattel zur Rushhour! Was hatte denn dieser riesige Ausflugsdampfer auf diesem winzigen Kanal zu suchen? Und warum machte er so gewaltige Wellen? Das gehörte doch verboten! Panisch begann ich zu paddeln. Leider bewegte sich das Kajak in die komplett falsche Richtung, auf den Dampfer zu.
»Nach rechts!«, schrie Leon. »Paddel, paddel!«
Der Dampfer tutete, das Kajak hing schwer im Seegang und ich paddelte wie verrückt.
»Ruder ab!«, brüllte plötzlich eine Stimme viel zu nahe an meinem Ohr. Eine Sekunde später wurde ich voll in die Seite gerammt. So muss sich die Titanic gefühlt haben, als sie dem Eisberg begegnete, dachte ich noch, bevor ich über Bord ging.
Einen Moment lang gab es nur Wasser und einen langen Schatten über mir, dann tauchte ich prustend wieder auf, einen halben Liter Alsterwasser im Bauch. Neben mir trieb das Kajak, kieloben. Ein paar Meter entfernt war ein Ruderboot und die komplette Mannschaft hatte sich umgedreht und starrte mich mit offenem Mund an. Auf der anderen Seite hatte der Ausflugsdampfer eine Vollbremsung hingelegt, an der Reling hatte sich ein Menschenauflauf gebildet. Von der dritten Seite des Bermuda-Dreiecks kam Leon herangepaddelt, die Augen entsetzt aufgerissen.
»Ist dir was passiert?«, brüllte er.
Für einen Moment blieb die Zeit stehen. Dann fing jemand an zu lachen. Was war denn hier so witzig? Dann sah ich, dass ich in einem gewaltigen Geglibber aus Kartoffelsalat schwamm, der meinen Kopf wie ein Glorienschein umgab. Kartoffelscheibchen, Gewürzgürkchen und Radieschen dümpelten vorüber. Ein ordentlicher schwäbischer Kartoffelsalat wäre nicht so eine Sauerei gewesen! Ein kleines Stück weiter trieben Plastikbecher, die Schüssel und der Korb. Eine fröhliche Entenschar kam zutraulich herangeschnattert und begann gefährlich nahe an meinen Zehen, die umhertreibenden Kartoffelstücke und die eingeweichten Brötchen zu futtern. Die Ruderer hingen jetzt über ihren Riemen und quiekten hemmungslos. Die Besatzungen vorbeipaddelnder Kajaks brüllten vor Lachen. Auch vom Dampfer schallte Gelächter herüber. Fotoapparate und Camcorder waren auf mich gerichtet. Leons Gesichtsausdruck wechselte permanent zwischen Besorgnis und Belustigung.
»Ist das nicht schön, so viele fröhliche Menschen?«, rief ich, legte mich auf den Rücken, ließ mich treiben, faltete die Hände auf dem Bauch und übte mich in Würde.
Leon war jetzt direkt neben mir. »Ist dir auch wirklich nichts passiert?«, fragte er.
Auch das Ruderboot hatte beigedreht. »Tut uns leid. Ham Sie ein Ruder auf den Kopf bekommen?«, fragte jemand.
»Nein«, sagte ich. »Mir geht’s prima. Wann hat man schon mal so viel Publikum? Ich mache mir nur ein bisschen Sorgen um meine Zehen.«
Das Ruderboot zischte ab und der Dampfer fuhr tutend davon. Die Leute winkten. Leon drehte das Kajak um und sammelte die herumschwimmenden
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