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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor lauter Dirndl-Euphorie.
    Hatte sie nicht den Weihnachtsmarkt vergessen? Leider ging ich nie zum Stuttgarter Sommerfest, weil es mir zu yuppiemäßig war, zu Landhausstil-Hochzeiten wurde ich nicht eingeladen und ich versuchte mir lieber nicht vorzustellen, wie Lilas Sozpäd-Freunde reagieren würden, wenn ich bei der nächsten Hinterhof-Fete im Dirndl auftauchte.
    Die Verkäuferin zog den Vorhang der Umkleidekabine zurück. »Es steht auch jeder Frau!«, schwärmte sie. »Man kann sogar den su-per-fet-tes-ten Hintern mit dem weiten Dirndlrock kaschieren! Und wer keinen dicken Hintern hat, zieht einen Petticoat drunter, das bauscht sich dann so schön!«
    Und wer keinen Busen hat, dachte ich, zieht ein paar Tennisbälle drunter. Oder türkische Melonen.
    »Hier, bitte. Wenn Sie Hilfe brauchen beim Anziehen, geben Sie Bescheid. Ist ja nicht so einfach, mit den vielen Häkchen.«
    »Danke«, sagte ich. Ich ließ meine Umhängetasche fallen, schlüpfte aus meiner abgeschnittenen Jeans und dem Trägertop und zog das Blüschen über. Es war superkurz und erwartungsgemäß für üppigere Formen gedacht. Wenn ich aber meinen Wonderbra zusätzlich auspolsterte oder zwei übereinander anzog, würde es gehen. Das Kleid war dagegen ein echtes Problem. Vorne saß es überhaupt nicht und natürlich war es unmöglich, die Haken und Ösen am Rücken ohne fremde Hilfe zu schließen. Wie sollte ich das zu Hause hinkriegen?
    »Entschuldigung – könnten Sie mir vielleicht doch helfen?«
    Die Verkäuferin eilte herbei und lachte laut heraus. »Sie haben das Kleid falsch rum an. Das Mieder mit den Haken muss natürlich nach vorne!«
    Mieder, welches Mieder? Ich hatte mir doch extra ein Modell ohne Mieder ausgesucht! Ich schlüpfte wieder aus dem Kleid und tatsächlich machte es andersherum plötzlich Sinn. Die Verkäuferin fummelte konzentriert an den Haken herum. Mit jedem Haken presste sie noch ein bisschen mehr Luft aus meiner Lunge. Ich fühlte mich wie Scarlett O’Hara beim Korsettschnüren, am Anfang von »Vom Winde verweht«.
    »Das – ist – doch – viel – zu – eng«, japste ich.
    »Nein, nein! Das muss so sein«, beteuerte die Verkäuferin keuchend. Sie stemmte den Fuß gegen den Rand der Umkleidekabine, um besseren Halt zu haben. »Schönheit und Leiden, Sie wissen schon! Nur noch zwei Haken! Wenn Sie bitte für einen Moment die Luft anhalten würden?«
    Ich hielt brav die Luft an und mir wurde schwummrig. »Damit kann man doch gar nicht sitzen!«, stöhnte ich.
    Geschweige denn ein saftiges Göckele essen. Oder einen kandierten Apfel. Oder Zuckerwatte. Ich liebte Zuckerwatte!
    »Doch, doch, das weitet sich noch«, sagte die Verkäuferin und führte mich zu einem Spiegel. »Setzen Sie sich nachher mal auf unseren Testhocker dort. Bisher ist erst einmal einer Kundin beim Sitzen das Mieder aufgeplatzt. Und dann müssen Sie natürlich die Puffärmelchen herunterziehen. Das trägt man schulterfrei. Neckisch-sexy. Ach, Sie sehn allerliebst aus! Vielleicht doch noch a kloins Petticötle dronder?« Sie klatschte verzückt in die Hände.
    Ich drehte und wendete mich ausführlich vor dem Spiegel. Allerliebst? Hmm. Die heruntergezogenen Ärmelchen betonten meine knochigen Schlüsselbeine. Ohne Petticoat sah man meinen fehlenden Hintern und das Mieder hatte das wenige, was ich an Busen noch besaß, völlig platt gemacht. Ich war das Heidi. Oder Rotkäppchen. Die waren beide vor der Pubertät und hatten deshalb auch keinen Busen. Vielleicht besorgte ich mir noch einen Weidenkorb dazu und verteilte Trollinger und Laugenbrezeln an Leons Kollegen? Das würde sicher gut ankommen und vom Dirndl ablenken. Leon. Hauptsache, wir versöhnten uns wieder! Ich drehte den Kopf, während die Verkäuferin weiterplapperte.
    In diesem Augenblick sah ich im Spiegel einen Mann, der aus einer Umkleidekabine kam. Ein Mann in der Frauen-Umkleidekabine? Igitt! In der Hand hielt er eine Tasche aus Lkw-Plane, die genauso aussah wie meine. Was für ein seltsamer Zufall. Und warum schlich er so? Das war meine Kabine, und er trug meine Tasche!
    Ich drehte mich um und brüllte: »He, Sie da! Geben Sie meine Tasche her!«
    Der Mann spurtete los.
    »Haltet den Dieb!«, schrie ich und nahm mit dem Mut der Verzweiflung die Verfolgung auf. Mein Geldbeutel, meine hundert Euro und die EC-Karte! Ich hatte wirklich nichts zu verschenken. Der Dieb war schnell. Er hatte ja auch Schuhe an, im Gegensatz zu mir. Außerdem trug er

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