Brezeltango
erwartungsvoll an.
»Riecht ... äh ... sehr interessant. Ich überlege es mir noch mal. Wenn Sie mir jetzt vielleicht sagen könnten, wo die Dirndl ...?«
»Haben Sie eigentlich schon eine persönliche Beauty-Expertin?«
»Äh, nein, eigentlich nicht«, stotterte ich. Das sah doch ein Blinder mit Krückstock!
»Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, dann berate ich Sie gerne ausführlich. Sie sind zwar noch jung, aber gerade jetzt kommt es darauf an, die Weichen richtig zu stellen, damit Sie auch im Alter noch jugendlich aussehen und begehrenswert sind. Sie wissen ja, so in zehn, fünfzehn Jahren wird Ihr Partner anfangen, sich nach einer Jüngeren, Attraktiveren umzusehen. Das gilt es zu verhindern. Wir definieren Ihre Gesichtskonturen neu und entwickeln Ihren persönlichen Anti-Aging-Anti-Wrinkle-Plan. Abschließend stelle ich Ihnen eine Liste der empfohlenen Produkte zusammen. Die können Sie dann gleich im attraktiven Beautycase mitnehmen und wir schicken Sie Ihnen in regelmäßigen Abständen nach Hause. Als kleines Dankeschön erhalten Sie einmal im Jahr einen Nagelcheck und eine Haaranalyse. Wir machen Termine aus und überprüfen beim Controlling, ob Sie Ihr persönliches Pflege- und Beautyziel erreicht haben!«
Ich sah die Verkäuferin betreten an. »Dirndl. Ich möchte eigentlich ein Dirndl kaufen.«
»Drittes OG, gleich hinter der Rolltreppe«, sagte die Frau spitz und wandte sich ab.
Erleichtert lief ich zur Rolltreppe. Bei mir war sowieso Hopfen und Malz verloren. Ob mich Leon in der Midlife-Crisis wegen Orangenhaut, Besenreisern und Mitessern verlassen würde? Erst mal mussten wir es bis dahin schaffen.
Die
Stairway to heaven
beförderte mich direkt ins Trachtenmoden-Paradies. Dirndl, Schürzen, Blusen, Korsagen, Schultertücher, Janker und Lederhosen für Frauen, so weit das Auge reichte. Kundinnen, denen es an Oberweite und dem erforderlichen Kleingeld nicht zu mangeln schien, drehten sich selbstgefällig vor den Augen ihrer Ehemänner oder besten Freundinnen, Schürzen raschelten und ein fröhliches Stimmengewirr lag in der Luft. Das war nicht der Himmel, das war die Hölle! Eine erschöpft wirkende Verkäuferin, selbstredend in Dirndl gewandet, hastete mit einer lila Schürze über dem Arm an mir vorbei.
Ich warf mich ihr in den Weg. »Entschuldigen Sie, ich suche ein Dirndl.«
»Was für eine Größe tragen Sie denn? 34, schätze ich mal? Die hängen da drüben. Sie können ja schon mal schauen, in welche Richtung es gehen soll. Ich bin gleich bei Ihnen. Wir sind gerade ein bisschen überlastet.« Sie lächelte entschuldigend und enteilte.
An dem Kleiderständer mit der Größe 34 gab es Dirndl aus Taft, Baumwolle oder Spitze, mit Blümchen oder Lilien bedruckt, mit Ornamenten verziert oder mit Pailletten bestickt. Besonders beliebt schien die Kombination grün-rosa zu sein. Ich schob die Kleider hin und her und fand endlich zwischen den vielen aufwendigen Modellen ein ganz schlichtes Dirndl aus rosa Leinen. Es hatte keine Schürze, nur einen weiten Rock, auf dem sich winzige weiße Hirsche, Füchse und Zwerge tummelten. Vor allem schien es für Flachbrüstlerinnen wie mich gedacht zu sein. Anstelle eines Mieders war das Leinenoberteil wie bei einem Sommerkleid V-förmig ausgeschnitten. Am Rücken wurde es mit Häkchen geschlossen. Dazu gab es ein weißes Blüschen mit rosa Bordüren, Puffärmelchen und Lochstickerei. Allerliebst.
Grau-en-haft!
Wenn es nur Leon gefiel! Ich nahm das Kleid über den Arm.
»Ein sehr schönes Modell haben Sie sich da ausgesucht. Sehr gute Qualität. Und auch preislich sehr ansprechend, weil es aus der Vorjahreskollektion ist. Möchten Sie es anprobieren?« Die Verkäuferin winkte mir, ihr zu folgen.
Ein Preisschild hatte ich nicht entdecken können, aber »preislich sehr ansprechend«, das war doch genau das, was ich suchte.
»Dirndl scheinen ja mittlerweile in Stuttgart schwer angesagt zu sein«, sagte ich.
»Das wird noch viel mehr in den nächsten Jahren, das sage ich Ihnen. Schon im Winter haben die ersten Kundinnen gefragt, ob wir auch wirklich neue Modelle hereinbekommen, sonst hätten sie sich eines aus dem Skiurlaub in Bayern mitgebracht. Eine lohnende Investition, weil mittlerweile ganzjährig zu tragen. Nach dem Wasen kommt das Frühlingsfest. Dann kommt das Stuttgarter Sommerfest, dann vielleicht eine Gartenparty, eine sommerliche Soiree, eine Hochzeit im Landhausstil, Laubencheck beim Weindorf und schon sind wir wieder beim Volksfest.«
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