Brezeltango
uns schon das eine oder andere Mal begegnet.«
»Was tust du auch hier«, sagte ich anklagend. »Ich dachte, dein Revier ist in Cannstatt!«
»Krankheitsvertretung«, sagte Simon achselzuckend. »Bist du verletzt?« Er deutete auf meinen Fuß.
»Nur eine Scherbe«, sagte ich.
Die schwachnervige Verkäuferin kam langsam wieder auf die Beine und wurde von zwei Kolleginnen weggebracht. Der Sanitäter machte sich nun an meinem Fuß zu schaffen.
»Simon, wo du schon mal hier bist, vielleicht kannst du dem Mann klarmachen, dass ich wirklich Pipeline Praetorius bin und gerne meine geklaute Tasche wiederhätte?«, sagte ich und deutete auf den Sicherheitsmann.
»Das ist Pipeline Praetorius«, sagte Simon ernst. »Sie hat manchmal ein bisschen Pech, und sie hätte gerne ihre Tasche wieder.«
Der Mann händigte Simon widerstrebend die Tasche aus und der reichte sie an mich weiter. »Sieh nach, ob irgendwas fehlt.«
Schnell wühlte ich mich durch Tasche und Geldbeutel. »Scheint alles da zu sein«, sagte ich erleichtert.
Der Sanitäter hatte mittlerweile geschickt den Splitter entfernt, die Wunde desinfiziert und meinen Fuß mit einem riesigen Verband umwickelt.
»Muss das sein? Reicht da nicht ein Pflaster?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Entzündungsgefahr. Blutvergiftung. Sie fallen einfach um und sind tot. Ruck, zuck! Sie sind ja hoffentlich gegen Tetanus geimpft. Wenn nicht, gehen Sie bitte heute noch zum Arzt.«
Ich hatte keine Ahnung, ob ich gegen Tetanus geimpft war, aber ganz sicher heute Wichtigeres zu tun, als in einer Arztpraxis die Zeit totzuschlagen.
»Wo sind Ihre Schuhe?«, fragte der Sanitäter.
»In der Dirndl-Abteilung«, sagte ich. »Da sind auch meine Klamotten.«
»Ich ruf oben an«, sagte eine der Parfümerie-Frauen und verschwand.
»Und nun zu Ihnen«, sagte Simon und wandte sich an die Diebin, die bisher keinen Pieps gemacht hatte. »Können Sie sich ausweisen?«
»Nein«, antwortete sie.
»Name, Geburtsdatum, Wohnort?«
»Sieglinde Vampulla, Jahrgang achtunddreißig. Ich wohne in der Hauptmannsreute.«
Die Polizistin hakte ihre Arme wieder vom Gürtel los, ließ sie wie ein Gorilla hängen und pfiff durch die Zähne. »Und da haben Sie’s nötig zu klauen?«
»Ich hab eigentlich die Platin Card von Breuninger«, flüsterte die Frau. »Aber dann ist mein Mann gestorben ... und das Haus war plötzlich so groß und ich hab mich so allein gefühlt ... und dann hab ich mit Joggen und Krafttraining angefangen, gegen die Depressionen ... und letzte Woche kam mal wieder mein Lieblingsfilm im Fernsehen: ›Über den Dächern von Nizza‹.« Sie fing an zu schluchzen. »Ich hab vorher noch nie geklaut, ich schwör’s! Nur einmal eine Packung Hundeleckerli für meine beiden Pudel, im Drogeriemarkt!« Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern bebten.
Simon, die Polizistin und alle anderen Anwesenden seufzten. Jemand wischte sich eine Träne weg.
»Kommen Sie bitte mit«, sagte die Polizistin und führte Frau Vampulla aus der Halbhöhenlage ab.
Mittlerweile hatte die Verkäuferin, die mich so eifrig bei den Dirndln bedient hatte, meine Klamotten und Schuhe gebracht.
»Ich brauche noch deine Aussage«, sagte Simon zu mir. »Kommst du bitte mit raus, das machen wir im Wagen.«
»Ich muss mich aber erst umziehen!«, rief ich.
Die Dirndl-Verkäuferin blickte auf das parfümgetränkte und blutverschmierte Dirndl. »Das können wir sowieso nicht mehr verkaufen«, sagte sie. »Bitte nehmen Sie es als kleine Entschädigung für die im Hause Breuninger erlittenen Unannehmlichkeiten an. Wenn Sie es reinigen, ist es wie neu.«
»Wirklich?«, sagte ich. »Das ist ja wunderbar, vielen Dank! Dann lasse ich es gleich an.« Genial, am Ende würde ich doch noch im Dirndl auf den Wasen gehen. Dirndl. Volksfest. Leon. Ich hatte keine Ahnung, um wieviel Uhr das Volksfest-Date war. Ich musste so schnell wie möglich los! Ich stopfte meine Klamotten in die Tasche und schlüpfte in die Sandalen. Das war am rechten Fuß schwierig, mit dem dicken Verband.
»Simon, können wir das mit der Aussage nicht verschieben? Ich muss so schnell wie möglich auf den Wasen.«
Simon schüttelte den Kopf. »Ich muss das Protokoll aufnehmen. Aber ich fahre anschließend sowieso nach Cannstatt und kann dich dann dort absetzen.«
Ich verabschiedete mich vom Security-Mann, bedankte mich bei den Verkäuferinnen und dem Sanitäter und war erstaunt, dass die Menge nicht applaudierte, als ich mit Simon zum
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