Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
eben, Thibor! Wie viele Leben hast du genommen, um dein eigenes zu verlängern oder zu erhalten? Sie vergeben nicht, diese Toten, denn sie haben das verloren, was ihnen am wertvollsten war. Zu deiner Zeit hast du so vielen Menschen den Tod gebracht und gelegentlich sogar den Untod! Es sollte dich nicht überraschen, dass sie dich meiden!«
Thibor seufzte. Ein Soldat tötet, gab er zur Antwort. Und wenn er selbst stirbt, wenden sie sich dann etwa von ihm ab? Sicherlich nicht! Man heißt ihn willkommen! Der Henker tötet, genau wie der Verrückte in seinem Wahn, und wie der Gehörnte, wenn er einen anderen in seinem Bett entdeckt. Meidet man sie etwa deshalb? Im Leben vielleicht, zumindest manche davon, aber nicht mehr, wenn das Leben beendet ist. Denn nun haben sie sich auf eine neue Ebene begeben. In meinem Leben tat ich, was ich tun musste, und ich habe dafür mit ebendiesem Leben bezahlt. Muss ich nun immer weiterbezahlen?
»Willst du, dass ich mich zu deinem Anwalt ihnen gegenüber mache?« Harry meinte das natürlich alles andere als ernst.
Aber Thibor war nicht auf den Mund gefallen. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Aber nun, da du es erwähnst …
»Lächerlich!«, rief Harry. »Du spielst mit Worten – spielst mit mir – aber dazu bin ich nicht hergekommen! Es gibt eine Million anderer, die wirklich gern mit mir sprechen möchten, und ich verschwende meine Zeit mit dir! Ach, na ja, ich habe aus der Erfahrung gelernt. Ich werde dich nicht mehr stören.«
Harry, warte! Nun lag Panik in Thibors Stimme, die Harry in des Wortes wörtlicher Bedeutung von jenseits des Grabes erreichte. Geh nicht, Harry! Wer wird sonst mit mir sprechen, falls es … keinen anderen Necroscopen mehr gibt!
»Das ist eine Tatsache, die du stets im Gedächtnis behalten solltest!«
Aaaahhh! Droh mir nicht, Harry! Was bin ich – was war ich – als ein altes Geschöpf, das weit vor Ablauf seiner Zeit in eine Gruft gesperrt wurde? Sollte ich dir als schwierig erscheinen, dann verzeih mir das bitte! Komm nun, sag mir, was du von mir wolltest.
Harry gönnte ihm ein versöhnliches inneres Lächeln. »Na gut. Es ist so, dass ich deine Geschichte sehr interessant fand.«
Meine Geschichte?
»Deine Erzählung, wie es kam, dass du der wurdest, als den ich dich kenne. Falls ich mich richtig erinnere, warst du so weit gekommen, dass dich Faethor in seinem Kerker eingesperrt hatte und etwas in dich verpflanzte …«
Sein Ei!, unterbrach ihn Thibor. Die Perlensaat der Wamphyri! Du hast ein gutes Gedächtnis, Harry Keogh. Und meines ist auch nicht schlecht. Vielleicht zu gut … Mit einem Mal klang seine Stimme traurig.
»Du möchtest also nicht weitererzählen?«
Ich wünschte, ich hätte nie damit begonnen! Aber sollte dich das eine Weile hier verweilen lassen … Harry sagte nichts, wartete nur ein paar Augenblicke. Es stimmt also, stöhnte der ehemalige Vampir. Also gut.
Und nach kurzem mürrischen Schweigen fuhr Thibor mit seiner Erzählung fort.
Stell dir also diese unheimliche alte Burg oben in den Bergen vor: die Mauern durch Nebelschwaden verhüllt, das Hauptgebäude, das sich wie eine Brücke über die Kluft spannt, die Türme, die sich wie Reißzähne dem Mond entgegenrecken. Und stell dir ihren Herrn vor: ein Geschöpf, das einst ein Mensch gewesen war, vor langer Zeit. Ein Ding, das sich Faethor Ferenczy nannte.
Ich habe bereits berichtet, wie er … wie er mich küsste. Ach, so wurde noch nie ein Sohn von seinem Vater geküsst! Er verpflanzte sein Ei in mich, oh ja! Und wenn ich die Schrammen und Risse in einem Kampf schon für schmerzhaft gehalten hatte …
Die Saat eines Vampirs zu erhalten, bedeutet eine fast tödliche Pein! Fast tödlich, jedoch nicht ganz. Nein, denn der Vampir wählt den Wirt für sein Ei mit größter Sorgfalt und List aus. Er muss stark sein, dieser Unglückliche. Er muss über einen scharfen Verstand verfügen und möglichst kalt und gefühllos sein. Und ich gebe zu: Ich entsprach diesen Anforderungen. Wie könnte es anders sein, bei einem Lebenswandel wie meinem?
Und so erlitt ich den Schrecken des Eies in mir, das winzige Scheinfüßchen und Haken hervorbrachte, um sich damit durch meinen Hals und in meinen Brustkorb zu ziehen. Schnell? Das Ding war wie Quecksilber! Ja, es war sogar noch agiler als Quecksilber. Die Vampirsaat kann durch menschliches Fleisch dringen wie Wasser durch Sand. Faethor hätte mich nicht durch seinen Kuss in Angst und Schrecken versetzen müssen – doch er
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