Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
wachsen, schieben sich die Ranken erneut aus dem Boden und wachsen dem Licht entgegen. Wer ist stärker: der Baum mit seinem mächtigen Stamm und den kräftigen Ästen oder die schlanke feine Ranke mit ihrer Geduld? Wenn Geduld eine Tugend ist, Thibor von der Wallachei, dann sind die Wamphyri so tugendhaft wie nichts anderes!«
»Bäume, Fische, Ranken.« Thibor schüttelte unwillig den Kopf. »Ihr fantasiert, Faethor Ferenczy!«
»Alle jene Dinge, von denen ich Euch erzählt habe«, ließ sich der Burgherr nicht abbringen, »werdet Ihr schließlich noch verstehen lernen. Doch bevor Ihr auch nur zu verstehen beginnt, müsst Ihr an mich glauben. An das, was ich bin.«
»Niemals werde ich …«, wollte Thibor anfangen, doch er wurde unterbrochen.
»Oh doch, das werdet Ihr! Ganz bestimmt!«, zischte der Ferenczy. Seine schreckliche Zunge huschte in der schwarzen Höhle seines Rachens hin und her. »Jetzt hört mir gut zu: Ich habe mein Ei gezeugt. Es wächst zurzeit noch. Jeder Wamphyri hat in seinem untoten Leben nur ein einziges Ei, einen Samen, eine Chance, die ursprüngliche Frucht noch einmal hervorzubringen, eine Möglichkeit, seine ›Natur‹ einem lebenden Wesen weiterzugeben. Ihr seid der Wirt, den ich für mein Ei ausersehen habe.«
»Euer Ei?« Thibor rümpfte die Nase, zog eine finstere Miene und rückte von dem Ferenczy ab, so weit es seine Ketten zuließen. »Euer Samen? Euch ist nicht mehr zu helfen, Faethor!«
»Leider«, kommentierte sein Gegenüber mit hochgezogenen Lefzen und geweiteten Nasenlöchern, »seid Ihr derjenige, dem nicht zu helfen ist!«
Der Umhang des Burgherrn flatterte, als er auf den zerschmetterten Körper des alten Arvos zuglitt. Er hob die Leiche des Zigeuners mit einer Hand hoch wie eine Puppe und setzte sie – mit baumelndem Kopf – aufrecht in eine Nische in der Felswand.
»Wir selbst vollziehen nicht den Liebesakt«, erklärte Faethor mit einem zornigen Blick zu Thibor, »nur unsere Wirte. Aber wir verhundertfachen ihre Lust, ihren Drang! Wir empfinden keine andere Lust als die ihre – ach! Wir treiben sie zu Exzessen, tragen all ihren Gelüsten Rechnung, und wir heilen ihre Wunden, wenn es für menschliches Fleisch und Blut zu viel wird. Und über lange, lange Jahre hinweg, Jahrhunderte sogar, wird aus Mensch und Vampir ein einziges Wesen. Sie können nur mit großer Gewalt wieder getrennt werden. Ich, der ich einst ein Mensch war, habe ein solches Reifestadium erreicht. Und Ihr werdet es auch erreichen, vielleicht in tausend Jahren!«
Noch einmal riss Thibor vergeblich an seinen Ketten. Unmöglich, sie zu brechen oder auch nur zu verbiegen!
»Was die Wamphyri betrifft«, fuhr Faethor fort, »ist es genauso wie bei den verschiedenen Arten und Unterarten von Tieren – Eule und Möwe und Sperling sind alles Vögel; Wolf, Fuchs und andere gehören den hundeartigen Tieren an –, es gibt unterschiedliche Stadien und Bedingungen und deshalb auch unterschiedliche Wamphyri. Wir haben ja davon gesprochen, einen Baum zu beschneiden, um Stecklinge zu erhalten. Ja, das Verstehen wird Euch leichter fallen, wenn Ihr es so seht.«
Er bückte sich und schleifte den bewusstlosen zuckenden Körper des kräftigen Wallachen von der Stelle, an der die Bodenfliesen fehlten, weg. Dafür warf er nun die Leiche Arvos’ dorthin auf den blanken schwarzen Erdboden. Dann kniete er nieder, zerriss das zerlumpte Hemd des Alten und blickte zu Thibor auf, der verständnislos zusah. »Reicht das Licht aus, mein Sohn? Könnt Ihr genug sehen?«
»Es reicht, um einem Wahnsinnigen zuzusehen«, bestätigte Thibor mit einem kräftigen Nicken.
Der Ferenczy nickte zurück und lächelte wieder auf diese schreckenerregende Weise. Seine Elfenbeinzähne schimmerten im Laternenschein. »Dann seht her!«, zischte er.
Er berührte die nackte Brust der Leiche mit einem ausgestreckten Zeigefinger. Thibor beobachtete ihn ganz genau dabei. Er konnte den nackten Unterarm Faethors sehen, da der Ärmel seines Gewands hochgerutscht war. Dort konnte er also nichts versteckt haben, um irgendwelche Zauberkunststücke wie auf dem Jahrmarkt zu vollführen.
Faethors Fingernägel waren lang und spitz. Thibor sah, wie sich die Spitze des ausgestreckten Fingernagels rot färbte, als das Blut aus Arvos’ Brust quoll. Der rosafarbene Nagel brach auf wie eine Nussschale und schwang kraftlos hin und her, während sich der Finger selbst aufblähte und zu pulsieren begann. Blaue und graugrüne Adern traten deutlich hervor,
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