Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
wanden sich unter der Haut des Fingers, die weiche Spitze – ihres schützenden Nagels beraubt – verlängerte sich und schob sich wie von selbst gierig auf das graue kalte Fleisch des Zigeuners zu.
Das pulsierende Glied war kein Finger mehr: Es war ein Tentakel aus Unfleisch, eine Schlange ohne Haut. Sie war bald zweimal, dann dreimal so lang wie zuvor und schob sich vibrierend auf ihr Ziel zu: offenbar das Herz des Mannes.
Thibor beobachtete das alles mit herausquellenden Augen, angehaltenem Atem und offenstehendem Mund.
Bis zu diesem Augenblick hatte Thibor so etwas wie Furcht nicht gekannt, aber das änderte sich nun. Thibor, der Wallache, Herr über eine wenn auch kleine und zerlumpte Armee, gnadenloser Jäger von Petschenegen, war noch auf kein Geschöpf getroffen, das er gefürchtet hätte. Bei der Jagd waren die wilden Keiler des Waldes, die Männern tödliche Wunden zufügen konnten, für ihn bloße Ferkel gewesen. Und sollte irgendein Mann ihm den Fehdehandschuh hinwerfen, würde Thibor mit jeder Waffe, die der Herausforderer verlangte, gegen ihn kämpfen. Und niemand wagte es, ihn herauszufordern! In der Schlacht führte er jeden Angriff persönlich an und war stets mitten im Getümmel anzutreffen. Furcht? Dieses Wort hatte keine Bedeutung für ihn gehabt. Wovor auch sollte er sich fürchten? Wenn er in den Kampf geritten war, hatte er durchaus gewusst, dass jeder Tag sein letzter sein mochte. Das hatte ihn nicht davon abgehalten. So abgrundtief war sein Hass auf die Invasoren, dass er seine Furcht weggeschwemmt hatte. Kein Geschöpf, weder Mensch noch Tier, hatte ihm je weiche Knie verursacht, jedenfalls nicht seit seiner Kindheit – falls er je ein Kind gewesen war.
Doch Faethor Ferenczy übertraf alle bisherigen Bedrohungen. Durch Folter konnte man einen Menschen verstümmeln, doch am Ende führte sie zum Tod, und danach gab es keinen Schmerz mehr. Was der Ferenczy jedoch androhte, schien eine Ewigkeit der Hölle zu bedeuten. Bloße Augenblicke zuvor war das alles noch der Traum eines Verrückten gewesen, aber nun …?
Thibor war nicht in der Lage, seinen Blick von dem zu wenden, was da geschah, obwohl er aufstöhnte und erblasste.
»Jawohl, ein Steckling.« Faethors Stimme klang leise und bebte vor unterdrückter Leidenschaft. »Er findet seine Nahrung in bereits gezeichnetem Fleisch, das bald verfaulen wird. Es ist die niedrigste Form der Existenz für einen Wamphyri, und nichts wird sich daraus entwickeln, solange er keinen lebenden Wirt zur Verfügung hat. Aber er wird leben, verschlingen, stark werden – und sich verbergen! Wenn nichts mehr von Arvos übrig ist, wird er sich in der Erde verstecken und abwarten. Wie die Rankenpflanze, die auf einen Baum wartet. Der abgeschnittene Teil eines Seesterns, der nicht stirbt, sondern dem ein neuer Körper wächst – doch das Wesen, das ich zeuge, wartet darauf, einen lebendigen Körper zu bewohnen! Ohne Verstand, ohne zu denken, bleibt es ganz seinen primitivsten Instinkten überlassen. Doch trotzdem kann es die Zeitalter überdauern. Bis ein unvorsichtiger Mann darauf stößt, und bis es ihn findet …«
Sein unglaublicher blutiger pulsierender Zeigefinger berührte Arvos’ Fleisch … und lepröse weiße Wurzelfäden lösten sich mit einem Mal daraus und gruben sich wie Würmer in die Brust des Zigeuners. Kleine Hautlappen wurden umgeschlagen; an dem schleimigen Tentakel entwickelten sich plötzlich winzige Zähne, mit deren Hilfe er sich durch das Fleisch nagte.
Thibor hätte gern weggesehen, doch dazu war er nicht fähig. Faethors »Finger« brach mit einem weichen schmatzenden Geräusch ab und vergrub sich flink in der Leiche.
Faethor hielt die Hand hoch. Das abgetrennte Glied wuchs an die richtige Stelle zurück; Pseudofleisch verschmolz wieder mit seinem echten Fleisch. Die krankhafte Hautfarbe verblasste. Der Finger nahm eine normale Form an. Der alte Fingernagel fiel zu Boden und vor Thibors Augen bildete sich ein neuer.
»Also, mein heldenhafter Sohn, der hierherkam, um mich zu töten«, sagte Faethor, während er sich erhob und Thibor seine Hand vor das blutleere Gesicht hielt, »hättet Ihr dies wirklich töten können?«
Thibor drückte sich nach hinten an die Wand, wäre am liebsten hineingekrochen, um diesem ausgestreckten Finger zu entgehen.
Doch Faethor lachte nur. »Was? Glaubt Ihr, ich würde …? Aber nein, nicht Euch, Ihr seid mein Sohn. Sicher könnte ich es tun! Und Ihr wärt mir für alle Zeiten hörig, in meinem
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