Bride 02 - Tempel Der Liebe
Schulden des Vaters beglichen hatte. Er hatte verhindern wollen, dass der Name von Hugh Montgomery entehrt würde.
Trotzdem hatte sie später gehört, wie Fan-quis herablassend von ihrem Vater sprachen. Am liebsten hätte sie ihn sofort mit Händen und Füßen verteidigt. Es war die größte Prüfung für ihre Selbstbeherrschung gewesen.
Chenqua hatte den Haushalt aufgelöst. Dann hatte er Troth mit nach Kanton genommen. Auf einer seiner großen Handelsdschunken waren sie die achtzig Meilen flussauf-wärts auf dem Perlfluss nach Kanton gefahren. Während der Reise hatte er ihr erklärt, dass Troths Sprachkenntnisse für seine Firma sehr von Nutzen sein könnten, sie müsse aber von nun an ein Mann sein. Damals war sie zu jung gewesen, um sich auch nur andeutungsweise als Frau zu fühlen. Gehorsam hatte sie getan, was Chenqua von ihr verlangt hatte.
Als sie in Kanton angekommen waren, hatte Troth Montgomery sich in Jin Kang verwandelt. So konnte sie für Chenqua arbeiten und Dinge tun, die Mei-Lian nie hätte tun können. Sie hatte ihr Leben in Kanton bislang nie in Frage gestellt, sondern war dankbar für die Sicherheit, die Chenqua ihr bot. Er war ein anspruchsvoller, unerreichbarer Herr und Meister. Aber er war nie unfreundlich zu der mittellosen Waise gewesen. Seit dem Tod des Vaters war Chenqua der Anker in ihrem Leben. Er hatte sie anders behandelt als die anderen Mitglieder seines Haushalts.
Da sie viel Zeit mit den Fan-qui-Kaufleuten verbrachte, war es ihr gelungen, ihre Englischkenntnisse zu pflegen. Dennoch war ihr Leben sehr begrenzt und außer der Sicherheit gab es wenig. Würde sie für immer Chenquas geschlechtsloser Spion bleiben wollen? Als Kind hatte sie in Englisch gedacht und sich selbst eher als Schottin denn als Chinesin gefühlt. Und obwohl sie nun länger als ihr halbes Leben in Kanton verbracht hatte und in Chinesisch dachte, hatte ihr schottisches Naturell überlebt. Es war vielleicht noch nicht zu spät, sich einen Platz in der Heimat des Vaters zu suchen.
Es würde aber nicht leicht sein, ein neues Leben zu beginnen. Noch dazu in einem fremden Land, ohne Geld und ohne Freunde. Es würde auch schwierig sein, Geld für die Überfahrt aufzutreiben. Vielleicht reichte es, wenn sie alles verkaufte, was sie besaß. Würde sie es übers Herz bringen, den Schmuck der Mutter und das wunderschöne Kleid zu verkaufen, das Maxwell ihr gerade geschenkt hatte? Der Gedanke allein war ihr unerträglich.
Selbst wenn es ihr gelang, eine Überfahrt auf einem Fan-qui-Schiff zu buchen, würde es schwierig werden, Kanton zu verlassen. Chenqua würde sie nicht freiwillig gehen lassen, solange sie ihm nützlich sein konnte.
Vermochte einer der Fan-qui-Kaufleute ihr zu helfen und sie vielleicht als Übersetzerin in England anstellen? Sie runzelte die Stirn. Möglicherweise konnte einer der Männer von der Ostindien-Handelsgesellschaft Arbeit für Jin Kang finden. Allerdings würde man nicht gerade begeistert sein, wenn herauskam, dass sie die Kaufleute jahrelang an der Nase herumgeführt hatte. Trotzdem konnte sie den Gedanken nicht ertragen, ihr Dasein weiterhin als Jin Kang zu fristen, wenn es möglich war, in England als Frau zu leben.
Um in die Heimat des Vaters zu gelangen, musste sie schier unüberwindbare Probleme bewältigen. Bei dem Gedanken seufzte sie tief. Vielleicht lag die Freiheit, lag ein
neues Leben in greifbarer Nähe. Aber besaß sie den Mut und die Weisheit, es zu erreichen? Sie fürchtete nicht.
KAPITEL 10
England, Dezember 1832
Troth war vom Weinen und den vielen Albträumen völlig erschöpft. Sie döste vor sich hin, als ein Dienstmädchen mit einem Frühstückstablett an der Tür klopfte. Das perlgraue Licht im Schlafzimmer deutete darauf hin, dass ein neuer, düsterer und bewölkter Tag begonnen hatte.
Das Dienstmädchen ging hinüber zum Bett. Sie blickte Troth unsicher an. »Lady möchten Tee?«
Wo hatte das Mädchen eine solch schlechte Imitation von Pidgin-Englisch gelernt? Troth erwiderte trocken: »Tee wäre wunderbar, danke schön.«
Das Dienstmädchen wurde knallrot. »Entschuldigen Sie, Madam. Ich hörte, Sie wären aus dem Ausland.«
»Das stimmt, aber manche Ausländer sind der englischen Sprache mächtig.« Sie wollte das Mädchen jedoch nicht weiter demütigen und fragte deshalb: »Wie ist denn Ihr Name?«
»Sally, Madam.« Sie stellte das Tablett auf Troths Schoß ab, während sie versuchte, Troth nicht fortwährend fasziniert anzublicken. Troth war es
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