Bride 02 - Tempel Der Liebe
seit ihrer Reise und der Ankunft in England gewöhnt, so angesehen - ja manchmal geradezu unverschämt angestarrt zu werden. War je ein Chinese nach Shropshire gereist? Höchstwahrscheinlich nicht. Sogar in London war sie etwas Besonderes gewesen.
»Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Lady Maxwell?«
»Nein danke, Sally. Das ist völlig ausreichend.«
Das Dienstmädchen verbeugte sich und ging hinaus. Auf dem Frühstückstablett waren Speck, Eier und Würstchen sowie Toast, Butter und Orangenkonfitüre angerichtet. Sie hatte sich an das englische Frühstück gewöhnt, obwohl ihr eine Mahlzeit ohne Reis noch immer unvollständig vorkam. Hungrig aß sie alles auf und trank die ganze Kanne mit Tee, einem recht guten Young Hyson.
Jetzt war sie bereit für den Tag und stand auf. Das Kleid, das sie am Vortag getragen hatte, lag ausgebürstet auf einem Stuhl. Ihr restliches Hab und Gut lag gefaltet in einer Kleiderpresse. In Warfield Park kümmerte man sich wirklich vorbildlich um seine Gäste.
Nachdem sie sich angekleidet hatte, ging sie aus dem Zimmer. Lady Grahame hatte sich mit einem Sessel und einem Buch vor Troths Zimmer postiert. Heute Morgen trug die Gräfin ein schlichtes grünes Kleid und ihr silbrigblondes Haar war zu einem lockeren Zopf geflochten. Sie war so atemberaubend schön wie am Abend zuvor im Abendkleid. Sie schien ungefähr so alt wie Troth zu sein; allerdings besaß sie eine Selbstsicherheit, die in China nur älteren Frauen gegeben war.
Lady Grahame blickte von ihrem Buch auf, als Troth in den Flur hinaustrat. »Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?«
»Recht gut. Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Lady Grahame.«
»Bitte nenn mich Meriel.« Die Gräfin erhob sich und legte das Buch auf den Sessel. »Würdest du mich in die Orangerie begleiten? Es ist so friedlich dort.«
Troth war dankbar, so freundlich behandelt zu werden, und erwiderte: »Ich liebe friedliche Orte.«
Zusammen gingen sie die Treppe hinunter in die Halle, durch die Troth am Vorabend hereingekommen war. Kyle hatte erzählt, dass seine Schwägerin so zierlich wie eine Kantonesin sei. Er hatte Recht gehabt. »Wie geht es deinem Mann?«
Meriel seufzte. »Mit Kyle ist auch ein Teil von Dominic gestorben. Kyle hatte versprochen, eines Tages nach Hause zurückzukehren. Ich glaube, Dominic hat immer daran geglaubt, trotz der Gefahren, die auf einer solchen Reise drohen.«
»Ich wünschte, ich hätte etwas für ihn tun können«, antwortete Troth verzweifelt.
»Dominic hat mir deine Geschichte erzählt. Du hast Glück gehabt, dass du mit dem Leben davongekommen bist. Wenigstens wissen wir nun, was geschehen ist. Das haben wir allein dir zu verdanken.« Meriel schluckte. »Das ... ist besser, als in alle Ewigkeit zu hoffen und zu warten.«
»Hast du Kyle gut gekannt?«
»Wir sind uns nur ein paar Mal begegnet, aber durch seine Briefe an Dominic wurde er mein Bruder.«
Meriel ging nun schweigend voraus. Sie führte Troth durch das Haus, bis sie zu einer Tür gelangten, die in ein Wunderland führte. Troth stockte der Atem, als sie das Gewächshaus der Orangerie betraten. Sie fühlte sich nach Kanton zurückversetzt. Die Luft war tropisch warm und duftete nach Zitrusblüten. Eine Landschaft mit Büschen und Blumen, Pfaden und Bänken tat sich vor ihr auf. Es mutete wie ein Wunder an, dass draußen vor den Fenstern Schneeflocken vom Himmel fielen und die Welt in zuckriges Weiß kleideten.
»Hierhin ziehe ich mich im Winter am liebsten zurück«, erklärte Meriel. »An diesem Ort kann man träumen und auf den Frühling warten.«
»Wie wunderschön.« Troth lief zu einem Fenster und starrte hinaus auf die wehenden Flocken.
»Hast du jemals zuvor Schnee gesehen?«
Troth schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie. Ich ahnte nicht, dass er so hübsch sein würde.« Sie blickte ihre Gastgeberin an. »Ich habe Kyle gegenüber einmal behauptet, der Garten meines Herrn, Chenqua, wäre der schönste Garten der Welt. Er erwiderte, deiner wäre genauso schön. Ich verstehe jetzt, was er meinte.«
Meriel lächelte. Sie setzte sich auf eine Bank. Von dort konnte man hinaus auf den Garten blicken. Die geschnittenen Hecken bildeten geometrische Muster im Schnee. »Ich freue mich, dass er das gesagt hat. Um diese Jahreszeit schläft der Garten draußen. Aber im Frühling wirst du beeindruckt sein, glaube ich.«
Troth setzte sich auf das andere Ende der Bank. »Vergib mir, wenn ich so neugierig bin. Vielleicht sollte ich diese Frage nicht
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