Bride 02 - Tempel Der Liebe
hervorgebracht.« Sie spürte den schmerzlichen Verlust. »Hin und wieder fielen Eroberer aus dem Nordwesten ein und erklärten sich zu Chinas Herrschern. Aber sie haben jedes Mal die chinesische Lebensweise angenommen.
Unser Regierungssystem geht auf Konfuzius zurück. Er glaubte, dass weise, gemäßigte Gelehrte gute Staatsdiener seien. Jeder Beamte in China hat unter Beweis gestellt, dass er die Klassiker unserer Literatur und Philosophie kennt. Gibt es eine andere Nation auf dieser Welt, die das von sich behaupten kann?«
»Nicht dass ich wüsste. Vor zweitausend Jahren trugen die Bewohner Britanniens Felle und Jesus war noch nicht geboren«, erwiderte er. »Aber die Stabilität des konfuzianisehen Systems hat auch zu Stagnation und mangelnder Flexibilität geführt. Es gibt etliche unsinnige Gesetze, viel Bürokratie und kleinliche Staatsangestellte.«
»Zugegeben, das stimmt. Trotzdem hat es seine guten Seiten, wenn jeder Bauernjunge an der Prüfung teilnehmen darf. Wenn er sie besteht, kann er Gouverneur seiner Provinz oder kaiserlicher Zensor werden. Manchmal tut sich ein ganzes Dorf zusammen, um einen einheimischen Kandidaten zu unterstützen. Sie stellen dann Lehrer ein, die ihn auf die Prüfung vorbereiten, und hoffen, dass er dem Dorf Ehre bereitet.«
»Es spricht natürlich sehr viel für ein System, das auf Leistung beruht. In Britannien gibt es nichts Vergleichbares.« Er drehte sich zu ihr um. »Das ist das erste Mal, dass Sie >wir< und >unser< gesagt haben, als Sie von China sprachen.«
Das stimmte wohl. »Vielleicht fühle ich mich chinesischer, seit ich mich entschieden habe fortzugehen.«
»Sie müssen die endgültige Entscheidung ja noch nicht treffen«, sagte er leise. »Sie können in Chenquas Haus zurückkehren oder in Macao bleiben.«
Sie war versucht, sich an diesen tröstlichen Gedanken zu klammern. Aber das ging nicht. Sicher, in Chenquas Haus wartete eine gusseiserne Reisschüssel auf sie. Aber sie hatte sich in den letzten Wochen zu sehr verändert, um damit je wieder zufrieden sein zu können.
Und das war allein Maxwells Schuld.
Als sie das Prüfungsgebäude verließen, fragte sich Kyle, wie er in einem solchen System wohl abgeschnitten hätte. Er hatte während seiner Studien immer zu den Besten gehört - wenn er sich für den Stoff interessierte, der durchgenommen wurde. Noch nie hatte sein Leben jedoch vom Ergebnis einer Prüfung abgehangen. Er hatte bereits alles, was er zum Leben brauchte, als er auf die Welt kam. Im Gegensatz zu Dominic, der bei der Armee gedient hatte, hatte er sich noch nie einer wirklich harten Prüfung unterziehen müssen.
Der Lärm in den farbenfrohen Straßen bot einen erfrischenden Gegensatz zu der steinernen Strenge des staatlichen Prüfungsgebäudes. Nach den Wochen im engen Settlement wirkte Kanton geradezu berauschend auf Kyle. Zum Glück erinnerten die unbequemen Kordelstücke in seinen Schuhen ihn mit jedem Schritt daran, dass er nicht aus seiner Rolle als alter Mann fallen durfte.
Mehrmals kamen sie an Tempeln vorbei. Die meisten waren klein und dienten den Menschen eines Stadtviertels als Andachtsstätte. Aber einer der Tempel war groß und sehr prachtvoll, reich verziert mit Statuen und Schnitzereien. Wehmütig betrachtete er das Gebäude, während er und Troth daran vorbei gingen. Bevor sie in Hoshan ankamen, musste er sie bitten, ihm beizubringen, wie man sich in einer solchen Andachtsstätte verhielt. Er wollte den Tempel besichtigen, ohne aufzufallen.
Sie kamen an einem hässlichen Gebäude vorbei, das wohl einem offiziellen Zweck diente. Unter dem Vorwand, ihn an einigen zerbrochenen Pflastersteinen vorbeizuführen, nahm Troth seinen Ellbogen und sagte leise: »Das ist das yamen des Magistrats - sein Amtssitz und das Gericht. Und auch das Gefängnis.«
Kyle presste die Lippen aufeinander, als er die Gefangenen sah. Sie waren draußen an Eisengitter gekettet und den Beschimpfungen der vorbeigehenden Leute ausgesetzt. Die meisten kauerten mit gesenktem Kopf und gekrümmtem Rücken an den Eisengittern. Er beobachtete, wie eine alte Dame auf einen der Missetäter spuckte. In China galt es als eine der schlimmsten Strafen, in der Öffentlichkeit das Gesicht zu verlieren.
Ein Mann stolperte mit einem schweren Holzblock um Nacken und Handgelenke aus dem Yamen. Kyle hatte von diesem Foltergerät gehört. Es wurde cangue genannt. In England wurde früher ein ähnliches Gerät benutzt, um kleinere Verbrecher zu bestrafen.
Der Mann mit
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