Bride 02 - Tempel Der Liebe
Unhöflichkeit ihres Schützlings erblasst. Meriel hatte ihr jedoch geduldig erklärt, dass Troth aus einem Land kam, wo solche Augen etwas ganz Normales waren. Für die Menschen dort würde Gwynne merkwürdig aussehen, hatte sie gesagt.
Das Kind hatte diese Erklärung akzeptiert und sie waren schnell die besten Freundinnen geworden.
Troth hätte großen Spaß an den Weihnachtsvorbereitungen gehabt, wenn die Feiertage nicht bedeutet hätten, dass sie bald auch den Rest der Familie Renbourne kennen lernen würde. Dominic und Meriel hatten sie aufgenommen, als wären halb chinesische Witwen zweifelhafter Herkunft das Normalste der Welt. Aber Troth befürchtete, dass die anderen, insbesondere der Furcht erregende Earl of Wrexham, weniger entgegenkommend sein würden.
Sie betrat Meriels Wohnzimmer. Die Schwägerin saß im Schneidersitz auf dem Boden. Sie war umgeben von Stoffballen und bunten Bändern und plauschte munter mit der Schneiderin. Troth gefiel die Lässigkeit der Komtess. »Entschuldige bitte, dass ich mich verspätet habe«, sagte sie.
Die Schneiderin holte tief Luft und musterte Troth von oben bis unten. »Oh, Lady Grahame, Sie hatten Recht«, rief sie mit französischem Akzent. »Was für eine Freude das sein wird.«
Troth verstand nicht. »Wie bitte?«
»Ich habe Madame Champier gesagt, wie unglaublich schön du bist. Sie freut sich darauf, Kleider für dich anzufertigen«, erklärte Meriel.
Troth spürte, dass sie errötete. »Du machst dich über mich lustig.«
Meriel erhob sich flink. »Du glaubst wirklich nicht, dass du schön bist, nicht wahr?« Sie nahm Troth an der Hand und drehte sie zum Spiegel um. »Schau dich einmal an. Betrachtete dich nicht als eine Frau, die weder chinesisch noch schottisch ist. Sieh dich so an, wie du bist. Deine graziöse Figur, deine Augen, dein schöner Knochenbau. Selbst in den einfachsten Kleidern siehst du bezaubernd aus. Die Männer werden sich nach dir umdrehen und die Jungen werden Gedichte über dich schreiben, wenn du auf dem Weihnachtsball in einem schönen Kleid an ihnen vorübergehst.«
Troth starrte in den Spiegel und versuchte sich eine solch verrückte Situation vorzustellen. Nun gut, ihre Haut war glatt, ihr Haar üppig und der rötliche Glanz darin schien in England nicht aufzufallen. Aber sie sah immer noch sehr merkwürdig aus, weder asiatisch noch europäisch. Natürlich hatte Kyle behauptet, er bewundere ihre Erscheinung. Vielleicht war es auch tatsächlich so, dass den Engländern ungewöhnlich aussehende Frauen gefielen.
»Wenn du meinst«, erwiderte sie zweifelnd.
Meriel seufzte, machte aber keine weiteren Versuche, Troth zu überreden. Stattdessen begann sie mit Madam Champier darüber zu reden, welche Stoffe und welcher Stil am besten zu ihr passen würden.
Troth ließ die Beratungen und das Ausmessen geduldig über sich ergehen. Wie hieß doch gleich dieses englische Sprichwort. »Aus einem Schweineohr kann man kein Seidentäschchen machen«? Aber Meriel schien das Ganze Spaß zu machen. Sie verzierte ihre Schwägerin mit großer Hingabe. So hingebungsvoll arbeitete sie auch an den aufwändigen Blumengestecken im Glashaus. Troth war Meriel dieses Vergnügen schuldig. Meriel war wirklich die Liebenswürdigkeit in Person.
Sie war eine halbe Welt von ihrem Geburtsort entfernt und durfte nun endlich Troth Montgomery sein, eine Frau und ein Mitglied der Familie Renbourne. Seit ihr Vater gestorben war, hatte sie sich nicht mehr so geborgen gefühlt. Es würde schwer sein, wieder fortzugehen. Dominic und Meriel hatten ihr angeboten, den Rest ihres Lebens auf Warfield zu bleiben. Aber natürlich konnte sie dieses Angebot nicht annehmen. Im Gegensatz zu Meriels netten alten Tanten, die im Witwenhäuschen wohnten, war sie keine Blutsverwandte. Sie wollte die Gastfreundschaft der Familie nicht überstrapazieren.
Außerdem musste sie nach Schottland reisen. Den Winter über würde sie in Warfield bleiben. Dann wollte sie nach Norden reisen. Nicht um die Verwandten des Vaters zu suchen - sie bezweifelte, dass diese sie so liebevoll willkommen heißen würden wie Meriel und Dominic. Aber sie musste die Heimat ihres Vaters sehen - der Wunsch war so stark wie Kyles Verlangen, Hoshan zu besuchen. Vielleicht würde sie sich ein kleines Häuschen suchen und dort eine neue Heimat finden.
Sie war jetzt frei und konnte gehen, wohin sie wollte. Aber sie hatte nie geahnt, wie einsam sie sein würde.
KAPITEL 15
Kanton, China, Frühling 1832
Troth
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