Bride 02 - Tempel Der Liebe
würdigen Eindruck machen.
Am schwersten fiel es ihr im Augenblick, ihren persönlichen Verpflichtungen nachzukommen. Als Erstes musste sie einen Brief an Chenqua schreiben, in dem sie ihr Vorgehen und Lord Maxwells Tod erklärte. Sie wollte ihn um Verzeihung bitten, musste ihm jedoch auch begreiflich machen, dass sie nicht mehr bereit war, nach Kanton zurückzukehren und ihr altes Leben wieder aufzunehmen. Sie hatte einen zu hohen Preis für ihre Freiheit bezahlt, um sie jetzt wieder aufzugeben.
Dann besuchte sie den Protestantischen Friedhof, auf dem ihre Eltern nebeneinander begraben lagen. Er war von einer hohen Mauer umgeben und ähnelte mehr einem Garten als einem Gottesacker. Mithilfe von Chenqua war der Grund für diese letzte Ruhestätte gekauft worden, die dringend benötigt wurde, da der einzige christliche Begräbnisplatz katholisch war und weder die Katholiken noch die Chinesen einen protestantischen Leichnam bestatten wollten.
Hugh Montgomery hatte nicht damit gerechnet, dort begraben zu werden. Manchmal hatte er von der Kirche im schottischen Tiefland gesprochen, die seine Familie zu besuchen pflegte, und von dem herrlichen Blick, den man von dort aus über die schottischen Berge hatte. Trotzdem glaubte sie, dass er zufrieden war, im Fernen Osten unter der Erde zu liegen, wo er als Erwachsener die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. »Ade, Papa«, flüsterte sie und legte einen Strauß Blumen auf das Grab. »Ich schwöre, dass ich dir zu Ehren Schottland besuchen werde. Ich ... ich wünschte, du würdest mit mir kommen.«
Ihre schöne Mutter war auf dem Papier Christin gewesen, aber als echte Chinesin hatte sie auch die Götter verehrt, mit denen sie groß geworden war. Zu ihr sagte Troth: »Ich habe deinen und Papas Namen auf Täfelchen schreiben lassen. Bis an mein Lebensende werde ich sie in Ehren halten. Deine Seele soll nach dem Tode weder hungern noch dürsten.«
Sie entzündete Sandelholzstäbchen rechts und links von den Grabsteinen, legte Orangen auf das Grab und verließ den Friedhof. Sie wusste, sie würde ihn nie wieder betreten.
Zum Schluss ging sie am Ufer der schmalen Halbinsel entlang, bis sie nur noch knapp einhundert Meter breit war. Diesen Teil Macaos nannte man den Lotusstängel. Hier erhob sich eine Mauer, die den Zutritt nach China verwehrte. Mit dieser Barriere wollte man die Europäer hindern, den Fuß auf chinesischen Boden zu setzen. Es war ihre eigene Entscheidung, sich unwiderruflich von ihrem Geburtsland zu trennen. Lange blickte sie auf die Mauer, bevor sie sich umwandte.
Es sollte so sein.
KAPITEL 29
Fengtang, China, Sommer 1832
Heute sollte Kyles Hinrichtung wiederholt werden. Er betete, dass es diesmal endgültig sein möge.
Beim ersten Mal war er darauf vorbereitet gewesen, durch die Kugeln des Präfekten zu sterben. Zuerst konnte er es nicht fassen, dass er immer noch auf den Beinen stand, während sich der Pulverdampf langsam verzog. Benommen fragte er sich, ob er vielleicht tödlich verwundet war und die Schmerzen nicht spürte.
Dann blickte er zu Wu Chong. Das Gesicht des alten Mannes zeigte den Ausdruck grausamer Zufriedenheit. Zum Teufel mit ihm! Die Musketen waren nicht mit Kugeln geladen, sondern nur mit Lunten und Pulver! Die Exekution war ein tückischer Einfall Wu Chongs, um seinen Gefangenen seelisch zu foltern.
Kyle stand immer noch aufrecht an der Mauer, als Wang, der Kaufmann, auf ihn zuging und entschuldigend den Kopf senkte.
»Wu Chong hat Wahrsager befragt. Ungünstige Zeit für Hinrichtung von Fan-qui. Nach Neumond wird Strafe auf chinesische Art vollzogen.«
»Durch Enthaupten?«
»Sehr schnell, schmerzlos«, versicherte Wang.
Kyle wäre lieber erschossen worden.
Verbissen klammerte er sich an den letzten Rest seiner Würde und ging auf das von Wachen umstellte Gefängnisgebäude zu. Auf dem Weg zu seiner Zelle konnten es einige der Wärter nicht lassen, ihn mit gezielten Stockhieben zu schlagen, bevor sie ihn auf das feuchte Stroh stießen.
Noch drei Wochen bis Neumond.
Um nicht den Verstand zu verlieren, hatte er sich einige Übungen ausgedacht. Methodisch arbeitete er seine sämtlichen Cambridge-Seminare durch, angefangen vom ersten Semester in Philosophie, Mathematik und den alten Sprachen Latein und Griechisch. Erstaunlich, an was sich ein Mensch erinnern konnte, wenn er nichts Besseres zu tun hatte.
Erinnerungen an Troth und England versuchte er zu vermeiden. Sie schmerzten sehr und er bemühte sich, sich
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