Brief in die Auberginenrepublik
ich bin in Afrika, und halte mich zurzeit in Libyen auf. Wie ich hier gelandet bin, ist eine lange Geschichte, und es ist kein guter Zeitpunkt, um eine lange Geschichte zu erzählen. In diesem Land ist alles anders, als wir es aus dem Irak kennen. Ich lebe aber, und das ist das Wichtigste. Und Du? Ich kann mir nicht vorstellen, wie es Dir gehen mag, woran Du denkst, wie Du Dich fühlst.
Es tut mir sehr leid, dass Du seit zwei Jahren keine Nachricht von mir bekommen hast. Ich habe die ganze Zeit nach einer Möglichkeit gesucht, Dich zu erreichen, habe aber nichts finden können. Wöchentlich habe ich einen Brief an Dich verfasst, eigentlich schon ein ganzes Buch mit Briefen an Dich geschrieben. Erst vor kurzem erfuhr ich von diesem Postweg und hoffe nun, dass Du diesen Brief tatsächlich erhältst. Das ist die einzige Gelegenheit, die ich habe.
Schatz, was sich damals an der Universität ereignete, kam für uns alle unerwartet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von uns die Schuld trägt. Ich hoffe, Dir ist damals tatsächlich nichts passiert. Soweit ich weiß, hat keiner der Jungs Deinen Namen oder den der anderen Mädchen in irgendeiner Form erwähnt. Ich habe keine Ahnung, ob Du weißt, dass ich damals nur Glück gehabt habe. Ich habe nichts Falsches gemacht und keinem Menschen wehgetan. Meine Probleme wurden schnell gelöst, weil mein Onkel mir rechtzeitig geholfen hat. Danach ging ich ins Ausland.
Ich bin immer noch derselbe Mann, den Du geliebt hast. Unverändert, und ich liebe Dich noch immer. Das musst Du mir glauben. Die ganze Welt ist mir ziemlich egal, auch ob die anderen mir glauben oder nicht. Allein Du bist mir wichtig. Du kennst mich. Mit meinem Herzen stand ich immer nackt vor dir.
Es ist wirklich traurig, all diese Dinge hier auf diese Art und Weise aufzuschreiben, das weiß ich. Traurig für Dich, und auch für mich. Trotzdem erleichtert mich das Gefühl, mir jetzt das Wichtigste von der Seele geschrieben zu haben. Zwei Jahre habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, einen Brief an Dich zu schicken. Jetzt habe ich es geschafft. Trotzdem kann ich unmöglich alles aufschreiben.
Nun muss ich wieder über uns lachen. Wie kann man noch lachen? Ich weiß es nicht, aber ich tue es gerade. Früher dachte ich, wir müssten Probleme bekommen, weil Du Christin bist und ich Muslim. Stattdessen hat uns vor zwei Jahren dieser Wahnsinn heimgesucht. Seit jener Zeit konnte ich Dir nicht einen einzigen Brief schicken. Ich muss lachen, weil ich nun weiß, dass religiöser Zwist tausendmal erträglicher ist als das, was wir gerade erleben.
Die Glaubwürdigkeit unserer Geschichte besteht vermutlich darin, dass sie weder glaubwürdig noch unglaubwürdig ist. Sie ist eben nur eine mesopotamische Geschichte.
Ich liebe Dich so sehr, dass es mir wehtut.
Dein Salim
Donnerstag, 30. September 1999
Sechstes Kapitel
Ahmed Kader, 34 Jahre alt, Oberst
Freitag, 8. Oktober 1999
Bagdad, Irak
Urlaub hin oder her, ich muss arbeiten, auch wenn ich zu Hause bin. Vermutlich verbringe ich die nächsten Tage viel Zeit in meinem Arbeitszimmer. Meine Frau Miriam wird diese Situation nicht mehr lange ertragen, da bin ich mir sicher. In letzter Zeit reden wir kaum miteinander. Seit Wochen schlafe ich nur noch selten mit ihr. Es bleibt nicht einmal Zeit, eine Stunde mit meinen Töchtern zu spielen. Es ist höchste Zeit, dass wir mal wieder etwas gemeinsam unternehmen. Dieses Jahr haben wir sogar den ganzen Sommer in Bagdad verbracht, die einzigen Erlebnisse waren Temperaturen bis fünfzig Grad, brennende Sonne und zahlreiche Staubstürme. Schuld daran, dass ich in Bagdad bleiben muss, ist ein hässliches amerikanisches Mädchen, das Monica Lewinsky heißt. Seit sie im letzten Jahr mit dem Präsidenten der USA Bill Clinton gefickt hat, haben die Iraker keine Ruhe mehr. Zeitgleich mit dem Beginn des Amtsenthebungsverfahrens gegen Clinton führte dieser Frauenheld – als Ablenkung – einen Krieg gegen unser Land. So ist es eben, die Amerikaner ficken und amüsieren sich, und wir sollen hier darunter leiden. Der Krieg »Operation Desert Fox« im Dezember 1998 war schon nach vier Tagen beendet. Tatsache ist aber, dass bis heute die Luftangriffe der USA und Großbritanniens nicht aufgehört haben. Immer wieder, fast einmal monatlich, schießen ihre Maschinen auf irakische Militärstellungen oder manchmal auch auf Zivilisten. Hinzu kommt, dass das Chaos im Land zunimmt. Seit dem Tod eines der schiitischen Imame, Sadiq As-Sadr, vor
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