Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
Ufer wirkte verarmt. Die dräuenden Wolken hingen wie Sprechblasen über ihren Köpfen, und die eingewickelten Baguettes lagen neben ihnen auf dem Baumstamm. Die alten Freunde schwiegen schon seit drei Minuten. Ein Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde war ihnen so gut wie sicher.
    »Scheiße«, meinte Civilai.
    »Das kannst du laut sagen.«
    »Und was, in drei Teufels Namen, sollen wir jetzt tun?«
    »Da hatte ich eigentlich auf deinen Einfallsreichtum gesetzt. Es wäre schließlich nicht dein erster Putsch.«
    »Richtig, kleiner Bruder. Mit dem winzigen Unterschied, dass wir damals aufseiten der Putschisten gekämpft haben.«
    »Umso besser. Dann brauchen wir uns doch bloß in die Lage der Tyrannen zu versetzen, die wir seinerzeit aus Amt und Würden gejagt haben. Was würden wir tun, wenn wir die royalistische laotische Regierung wären?«
    »Unseren gesamten Besitz zu Gold machen und über den Fluss nach Thailand schwimmen.«
    »Das war vielleicht kein besonders gutes Beispiel. Was hältst du davon, wenn wir die ganze Sache einfach der Staatssicherheit übergeben? Soll die sich damit herumschlagen.«
    »Manchmal muss ich mich doch sehr wundern, Siri. Wir reden schließlich nicht vom KGB . Was glaubst du wohl, was unsere Jungs für eine Ausbildung genossen haben? Das sind ehemalige Fußsoldaten aus der Provinz. Landeier. Hühnerzähler. Sie haben dafür zu sorgen, dass die Leute ihr Einkommen ehrlich versteuern. Was, bitte, sollten diese Burschen gegen eine putschistische Verschwörung unternehmen, die womöglich bis in allerhöchste Kreise reicht?«
    »Aber irgendjemand muss doch zuständig sein.«
    »Wir sind erst seit achtzehn Monaten an der Regierung. Das System steckt sozusagen noch in den Kinderschuhen. Wir halten uns nur mit Mühe über Wasser. Bis wir eine funktionierende Infrastruktur für solche Fälle auf die Beine gestellt haben, werden noch Jahre vergehen.«
    »Dann sollen wir also tatenlos zusehen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Wie steht es mit der Parteiführung? Leute, an deren Seite wir jahrzehntelang gekämpft haben: ranghohe Militärs, Politbüromitglieder. Männer, die über genügend Rückhalt in der Bevölkerung verfügen, um erfolgreich Widerstand zu leisten? Nach allem, was wir durchgemacht haben, werde ich mich jedenfalls nicht kampflos geschlagen geben.«
    »Ich bin schockiert, Siri. Ich dachte, es wäre dir egal.«
    »Ich bin über dreißig Jahre für dieses Land durch den Dschungel gekrochen. Meine Frau hat ihr Leben dafür hingegeben. Wie könnte mir das egal sein? Weißt du, was letzten Samstag war? Der Tag des freien Laos. Ich bin zum Denkmal des Unbekannten Soldaten gepilgert und habe der Toten gedacht. Unzählige Menschen sind für unsere Unabhängigkeit gestorben. Wie könnte ich es da zulassen, dass ein paar ruhmsüchtige Opportunisten eine Regierung stürzen, die drei Jahrzehnte lang gekämpft hat, um dorthin zu gelangen, wo sie heute ist, und … und uns das Land unter dem Hintern wegstehlen? Herrgott. Was hatte all das für einen Sinn, wenn wir ihnen das Feld nun einfach überlassen, ohne es auch nur bestellt zu haben?«
    »Ist ja gut. Ich hab’s kapiert.« Civilai legte seinem Freund den Arm um die Schulter. »Ich habe mich schon gefragt, ob in deinem kalten Herzen überhaupt noch ein patriotischer Funke schwelt. Ich dachte, dein Zynismus hätte dieses Feuer längst ausgepisst.«
    »Na vielen Dank. Und das aus dem Munde eines Mannes, der den Premierminister eine Kröte genannt hat.«
    »Das war ein Versehen. Ich wollte eigentlich ›Schnecke‹ sagen. Leider ist mir das Wort im Eifer des Gefechts nicht eingefallen.« Siri lachte und vergaß seinen Weltschmerz. »Wir sind schon zwei störrische alte Schlachtrösser«, fuhr Civilai fort, »aber sie brauchen Esel wie uns. Wenn sie uns schon nicht weiden lassen wollen, müssen sie eben damit rechnen, dass wir ihnen dann und wann einen ordentlichen Tritt verpassen.«
    »Was hältst du davon, wenn wir unsere altersgrauen Zellen zur Abwechslung ein wenig anstrengen und uns den einen oder anderen Gedanken darüber machen, wie sich dieser Staatsstreich abwenden lässt?«
    Civilai wickelte die Baguettes aus. »Ich kenne da ein paar Leute«, sagte er.
    »Wen?«
    Der erste Regentropfen landete auf Siris Knie. Er war so dick und schwer wie ein Kuhfladen.
    »Das behalte ich vorerst sicherheitshalber für mich.«
    »Warum?«
    Civilai förderte zwei perfekte Brote zutage – kulinarische Meisterwerke ersten Ranges –, doch selbst

Weitere Kostenlose Bücher