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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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stand der Tauchsieder noch unter Strom, als der stellvertretende Gouverneur in seine Wanne stieg. Und zack, war es um ihn geschehen. Ich habe versucht, den Gouverneur davon zu überzeugen, dass allein die Dummheit seines Stellvertreters für dessen Ableben verantwortlich gewesen sein dürfte, aber Sie wissen ja, wie die Leute da unten sind. Jetzt bezichtigt er die Russen, seinen Stellvertreter ermordet zu haben. Seiner Ansicht nach war der Tauchsieder manipuliert, und er hat gedroht, den sowjetischen Behörden seine Vorwürfe schriftlich darzulegen, sofern wir nicht in dem Fall ermitteln. Das können wir unmöglich zulassen. Und deshalb muss schnellstens jemand in den Süden reisen und den Mann beruhigen.«
    »Warum ausgerechnet ich? Und bitte ersparen Sie mir Ihre Kriegerrede.«
    Richter Haeng hatte es schon einmal mit dem Spruch »Stellen Sie meine Anordnungen gefälligst nicht in Frage« probiert, und wusste, dass der bei einem Mann wie Siri nicht verfing. »Weil Sie der amtliche Leichenbeschauer sind, Siri. Nur Sie können den Mann davon überzeugen, dass es ein Unfall war. Ihnen wird er glauben müssen.«
    Was Fälle fern der Hauptstadt anging, war Siri wählerisch geworden. Sie hatten ihn noch jedes Mal in Schwierigkeiten gebracht. Wegen eines albernen Tauchsiederunglücks quer durchs ganze Land zu reisen erschien ihm reichlich sinnlos. Es sei denn …
    »Welche Provinz?«, fragte er.
    »Champasak.«
    »Dann fahre ich.«
    »Im Ernst?« Wie immer, wenn Siri seinen Anweisungen widerspruchslos Folge leistete, huschte ein Ausdruck des Erstaunens über Haengs Gesicht, den der Doktor mit ebenso diebischem Vergnügen registrierte wie die krampfhaften Versuche des Richters, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Ausgezeichnet. Hier haben Sie ein wenig Reiselektüre.« Haeng hielt ihm das Büchlein hin.
    »Was ist das?«
    »Die Worte des Vorsitzenden Mao . Wir haben es ins Laotische übersetzen lassen.«
    »Wozu, um Himmels willen?«
    Haeng versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen, und stopfte Siri das Buch in die Tasche.
    »Ein guter Sozialist ist kein Abfalleimer mit geschlossenem Deckel. Er ist ein Briefkasten, stets offen für neue Nachrichten.«
    »Na, dann ist ja alles klar. Mein Schlitz soll stets geöffnet sein.«
    »So ist’s recht. Das lob’ ich mir. Sie fliegen am besten gleich morgen früh.«
    »Nein. Ich kann erst gegen Abend. Sagen wir, um sechs?«
    »Siri, Sie wissen doch, dass es um diese Zeit keine Linienflüge gibt.«
    »Aber früher geht es leider nicht.«
    »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Ihnen …«
    »Haben Sie dem sowjetischen Botschafter mitgeteilt, was man ihm im Süden vorwirft?«
    »Natürlich nicht.«
    »Dann sollten Sie das schleunigst tun. Angesichts des unseligen Gerangels zwischen den Sowjets, den Chinesen und den Vietnamesen um eine Hauptrolle in diesem unseren Lande sollte es mich doch sehr wundern, wenn der Botschafter sich weigern würde, mir für meinen kleinen Abstecher in den Süden seine gute alte Jak zur Verfügung zu stellen. Und vergessen Sie nicht zu erwähnen, dass der Gouverneur von Champasak gedroht hat, Moskau einen Brief zu schreiben.«
    »Ich glaube kaum …«
    »Keine Angst, mein Junge. Es ist höchste Zeit, dass die Marionette die Fäden zu ziehen beginnt.«

6
PROLETARIAT GESUCHT
    Siri fragte sich, was er hier eigentlich verloren hatte. Ihm fiel auf, dass die Leute von der anderen Seite der Samsenthai Road zu ihm herüberstarrten. Auch die neugierigen Blicke der Frau aus dem Aeroflot-Reisebüro, die verstohlen hinter dem Tresen hervorlugte, entgingen ihm nicht. Es war eins von nur drei Geschäften mit Fensterfront in dieser Gegend, und beschämt betrachtete Siri sein Spiegelbild in der verzogenen Scheibe. Eine Wolke, die noch bis vor ein paar Minuten Regen verheißen hatte, war inzwischen violett wie eine Aubergine und hing so tief, dass man sie förmlich mit Händen greifen konnte. Sie passte perfekt zu Tante Bpoos Kleid aus lila Crêpe, das knapp über ihren Rugbyspielerknien endete. Wieder saß Siri vor ihr wie ein Schuljunge vor der Direktorin und wartete darauf, dass sie gnädig das Wort an ihn richtete. Endlich legte sie die Karten beiseite und sah ihm in die Augen. Ein Gedicht.
    Es kommt die Zeit
    Gnade uns Gott – da jeder Mann
    Und jede Frau
    Zutritt haben wird zu einer Welt
    des Bösen und des grenzenlosen Wissens
    In einem kleinen Kasten
    Von Angesicht zu Angesicht in jedem Haus
    Der bohrende Blick des Transvestiten zwang Siri zu einer

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