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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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schon geöffnet hatte. Die wachsgesichtige junge Chefin meinte, sie könne den Zopf durchaus wieder zusammenflechten, müsse ihn dazu allerdings um circa zehn Zentimeter kürzen. Das Haarband war durch die Öse des Amuletts geschlungen und fest damit verknotet, und die Amulettmacherin hatte Siri eingeschärft, dass er Haar und Anhänger unter keinen Umständen trennen dürfe. Sonst sei die Wirkung dahin. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als beides im Laden zurückzulassen. Es werde gegen Abend fertig sein, sagte die junge Frau und verlangte zögernd einen Preis von zweihundert Kip. Siri schenkte ihr sein reizendstes Lächeln und erwiderte, wenn sie gute Arbeit leiste, sei ihm das sogar ein wenig mehr wert.
    Zehn Minuten später krachte der Jeep in ein Gebüsch vor dem Champasak-Palast. Nachdem der Zwischenstopp beim Friseur sie die letzten Tropfen Bremsflüssigkeit gekostet hatte, hielt Civilai nach möglichst weichen Hindernissen Ausschau, mit denen er gefahrlos kollidieren konnte. Noch etwas verdattert saßen die beiden da und blickten an der gigantischen Monstrosität empor, die vor ihnen aufragte: Prinz Boun Oums Disney-Schloss. Ein fünfstöckiger Möchtegernprachtbau, bestehend aus einem Mittelblock und zwei reichverzierten etagierten Seitenflügeln. Er war ungestrichen, unmöbliert und unansehnlich.
    »Sieht aus wie ein Kartenhaus«, meinte Civilai.
    »Ist aber hoffentlich stabiler.«
    Sie stiegen die Vortreppe hinauf und standen vor einer gewaltigen Flügeltür, die wider Erwarten weder über einen Klopfer noch über ein Schlüsselloch verfügte. Umso erstaunlicher, dass sie verschlossen war.
    »Ist jemand daheim?«, rief Civilai. Da keines der gut und gern dreihundert Fenster verglast war, konnte etwaigen Bewohnern schwerlich entgangen sein, wie der Jeep die Auffahrt hinaufgetuckert und in die Bougainvillea gerauscht war. »Keiner zu Hause«, befand er. »Gehen wir.«
    »Lass mich mal«, sagte Siri. Er trommelte mit den Fäusten gegen die Tür und brüllte: »Wir wissen, dass Sie da drin sind. Ich bin Dr. Siri vom Justizministerium und habe einen Durchsuchungsbeschluss für dieses Gebäude.«
    Civilai lachte. »Fehlen nur noch die güldenen Worte: ›Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.‹ Du glaubst doch nicht im Er…?«
    Hinter der mächtigen Tür ertönte ein leises Klicken, und knarrend öffnete sich einer der beiden Flügel. Im Schatten stand ein Pärchen, nicht mehr ganz taufrisch, schäbig gekleidet und gebückt. Kurioserweise hielten sie Händchen. In Laos hielten Pärchen nur dann Händchen, wenn sie betrunken waren. Der Mann sah aus, als sei er gerade aus einem mehrmonatigen Winterschlaf erwacht, der seine gesamten Fettreserven aufgezehrt hatte. Sein Gesicht wirkte schlaff und eingefallen, sein Körper erinnerte an eine Drahtbügelskulptur. Die Haut der Frau war aschgrau; Augen wie Gedankenstriche.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »wir waren hinterm Haus.« Ihr Stimme klang, als würde jemand mit langen Fingernägeln ein Blechdach hinunterrutschen.
    »Sind Sie die Hausmeister?«, fragte Civilai.
    »So was Ähnliches«, antwortete sie. Der Mann starrte die beiden Greise schweigend an und knirschte mit den Zähnen.
    »Wir sehen nach dem Rechten«, fuhr sie fort. »Solange das Haus leer stand, ist hier vieles … verschwunden. Die ganzen Kacheln, Fliesen, die Geländer. Wenn wir nicht rechtzeitig eingezogen wären, stünde hier jetzt vermutlich gar nichts mehr.« Eine Vorstellung, der Siri durchaus etwas abgewinnen konnte.
    »Sie sind also die Regierung«, sagte sie.
    »Nicht die ganze«, antwortete Civilai. »Wir wollten uns nur ein wenig umsehen. Wir halten Sie nicht lange auf.«
    Vorsichtig schoben sie sich an dem finster dreinblickenden Mann vorbei und fanden sich in einer leeren Halle wieder. Erstaunlich, wie beklemmend ein so großes Gebäude wirken konnte. Das verhieß nichts Gutes für die Zukunft. Sie stiegen über die breite Treppe hinauf in den ersten und zweiten Stock.
    »Warum gibt es denn hier keine Zimmer?«, fragte Siri.
    Die Frau wich ihm nicht von der Seite und zerrte ihren Begleiter an der Hand hinter sich her.
    »Der Prin…, ich meine, der ursprüngliche Besitzer wollte es so, keine Zimmer, nur offene Räume«, sagte sie. »Fünf große Bereiche, wie die Paläste in Europa. Es wäre so schön geworden, wenn … wenn die Bauarbeiten nicht hätten eingestellt werden müssen.«
    »Wer bezahlt Sie eigentlich dafür, dass Sie hier nach dem Rechten sehen?«, wollte Siri

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