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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Blinzelnd blickte Siri um sich. Plötzlich konnte er wieder normal atmen, und auch das Schwindelgefühl war verschwunden. Kaum hatte er sich wieder in der Gewalt, sah er seinen alten Kampfgefährten lächelnd an. »Die naga «, sagte er.
    »Du hast eine naga gesehen?«
    »Ja, aber angefangen hat es mit rosa Elefanten.« Lachend zog er sich an Civilai hoch.
    »Bruder, wenn ich jemals einen solchen Kater haben sollte wie du, rühre ich keinen Tropfen Alkohol mehr an. Ehrenwort. Alles in Ordnung?«
    »Ja. Nur ein flaues Gefühl im Magen. Das macht dieser Raum.«
    »Ich weiß. Ich habe es auch gespürt.«
    »Ach ja?«
    »Von schlechten Gemälden wird mir immer übel.«
    »Es ist aber auch wirklich grauenhaft.«
    Siri ließ es damit bewenden und erzählte Civilai, sein Schwindelanfall komme vom Treppensteigen. Dabei kannte er das Gefühl nur zu gut. Die phibob hatten die Tatsache, dass er seinen Talisman nicht bei sich trug, zu einem Angriff genutzt, und wenn er allein gewesen wäre, hätten sie ihn wahrscheinlich erdrosselt. Ihre Illusionen konnten töten. Er war ihnen schutzlos ausgeliefert. Nichts sehnte er so sehr herbei wie seinen abendlichen Friseurtermin.
    »Sie haben mir die Existenzgrundlage genommen, einfach so«, sagte Phosy.
    Er hockte im Schneidersitz in einem Kreis von zehn Männern. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Lagerveteranen sich um die Neuankömmlinge scharten, um sich mit dem neuesten Klatsch und Tratsch aus der Heimat zu versorgen. Sie tranken Thai-Rum aus ungleichen Gläsern und warteten auf ihr Essen.
    Als frischgebackenes Eheweib saß Dtui derweil mit den anderen Frauen im Hinterzimmer der Versammlungsbaracke und kochte. Auch die Damen tranken, doch ihre Gespräche drehten sich um Babys, Frisuren, die Waschpulverpreise und immer wieder Babys.
    »Dann ist es bei Phosy und dir also noch nicht so weit, Dtui?«
    »Nein«, antwortete sie. »Ihr wisst ja, wie das ist. Phosy möchte warten, bis wir finanziell auf sicheren Füßen stehen. Damit wir unsere Kinder zur Schule schicken und ihnen eine anständige Ausbildung ermöglichen können.«
    »Soso«, sagte eine Frau, deren Teint den Vergleich mit der Rinde eines Baumes nicht zu scheuen brauchte. Zwischen ihren Lippen klemmte ein Stumpen, und die Asche fiel in den Kohl, den sie entblätterte. Sie war nicht ganz leicht zu verstehen. »Und den Quatsch glaubst du?«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Dtui. Sie wischte sich die Zwiebeltränen aus den Augen.
    »Was ich damit sagen will? Dass er dich mit diesem Spruch vielleicht bloß hinhält, weil er in Wahrheit gar keine Kinder möchte.«
    »Warum sollte er?«
    »Weil es einfacher ist, eine kinderlose Frau sitzen zu lassen als eine, an deren Rockzipfel ein Rudel Gören hängt.«
    »Lass sie in Ruhe, Keo«, sagte eine hübsche junge Frau, die gerade ein Hühnchen zerlegte.
    Aber Dtui ging schon in die Defensive. »Mein Phosy ist ein guter Mann«, sagte sie. »Ein anständiger Mann …«
    »Er würde mich nie verlassen«, äffte Keo sie nach, was die anderen Mitglieder der Küchenbrigade mit schallendem Gelächter quittierten. »Ja, ja. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«
    »Du kennst ihn doch gar nicht«, entrüstete sich Dtui. »Er ist nicht wie andere Männer.«
    Das Gelächter der Frauen unterbrach die Gespräche der Männer und zauberte ein Lächeln auf ihre Gesichter.
    »Wenn sie zusammen kochen, sind sie glücklich«, meinte Bunteuk, der um einiges jünger war als Phosy. Dass er es dennoch schon zum Sektionschef gebracht hatte, verdankte er dem amerikanischen Präsidenten Carter. Dieser hatte jüngst, in einem Anfall von Mildtätigkeit infolge schlechten Gewissens, ein Abkommen unterzeichnet, das es vertriebenen Laoten – seinen früheren Verbündeten – erlaubte, in die Vereinigten Staaten auszureisen. Viele der alteingesessenen Lagerbewohner hatten dieses Angebot dankend angenommen und jüngere Männer in verantwortungsvolle Positionen gezwungen. Bunteuk war die Treppe ein paar Stufen hinaufgefallen und glaubte nun, alle Welt an seiner Weisheit teilhaben lassen zu müssen. Bei dem Gedanken, dass Dtui in der Küche stand und sich über Gemüse unterhielt, huschte ein Lächeln über Phosys Gesicht. Bald würde sie den Männern das Essen servieren und sich danach zum Abwaschen ins Hinterzimmer verfügen.
    Das wird ihr eine Lehre sein, dachte er.
    Im Lager herrschte ein lebhaftes Treiben. Thailändische Händler brachten ihre Waren unters Volk und versuchten, den

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