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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Flüchtlingen ihr Erspartes oder die paar Dollar abzuknöpfen, die sie sich verdienten, indem sie stundenweise bei den Nichtregierungsorganisationen aushalfen. Gelangweilte Laoten, die weiter nichts zu tun hatten, schlenderten mal hierhin, mal dorthin, plauderten, glotzten und bliesen die Backen auf. Die Müllfahrzeuge des Internationalen Flüchtlingskomitees wirbelten den Staub auf und machten die Hühner scheu. Frauen und Männer aus Ubon gingen mit ihren Kindern an den schnurgerade aufgereihten Holzhütten entlang und flüsterten ihnen warnend zu: »Diese Leute kommen aus Laos, Schätzchen. Da kannst du mal sehen, was der Kommunismus aus den Menschen macht. Vergiss das nie.«
    Westler mit Listen und riesigen Schweißflecken unter den Armen hetzten Selbstgespräche führend hin und her. Die Kirchen und Hilfsorganisationen hatten ihre Bemühungen halbwegs koordiniert und im Lager Ubon einen Anschein von Ordnung hergestellt. Die Latrinen waren meistens sauber, es gab immer genügend Reis, und eine strenge Hierarchie – von den Verbindungsoffizieren des Lagers bis hinunter zu den Bereichs- und Sektionsvertretern – sorgte dafür, dass sich die Kriminalität in Grenzen hielt.
    Von Zeit und Zeit bekam der eine oder andere Geld geschickt, von Verwandten, die es bereits nach Australien, Europa oder in die USA geschafft hatten und dort Tag und Nacht Büros putzten oder das Fett aus italienischen Auflaufformen kratzten, um sich von dem kärglichen Lohn ein neues Leben aufzubauen. Für manche Lagerbewohner bedeutete diese Finanzspritze einen Hauch von Luxus: eine Flasche Whisky dann und wann, ein Eis für die Kinder, eine kleine Zuwendung an die Lagerwachen, damit sie ein Auge zudrückten, wenn man einen Ausflug in das Nachtleben von Ubon unternehmen wollte. Es gab sicherlich schlimmere Zufluchtsorte als dieses alte Waffendepot der US -Armee. Und obwohl es sich hier durchaus leben ließ, war es doch kein Zuhause. Und nichts wünschten sich die Flüchtlinge im Lager Ubon sehnlicher als das.
    Phosy streckte seinen wohlgenährten Körper vor der Versammlungsbaracke von Sektion 36 aus. Er mochte seine neuen Nachbarn. Die Männer hatten sich für ihn erwärmt. Damit war das Schwierigste – sich einleben, akzeptiert werden – auch schon vollbracht, und das gleich am ersten Tag. Jetzt brauchte er nur noch Augen und Ohren offenzuhalten und herauszufinden, wie er an die maßgeblichen Leute herankam. Er hatte auch schon eine Idee. Er trat neben Bunteuk und sah zu den prallen Wolken hinauf.
    »Noch mehr Regen?«, fragte er.
    »Sieht ganz danach aus«, sagte Bunteuk. »Wenn die Regenzeit einsetzt, wird es hier ziemlich ungemütlich. Das ganze Lager verwandelt sich in Schokoladenmousse, man versinkt bis zu den Knien im Schlamm. Und das Bettzeug fängt an zu schimmeln.«
    »Du bist anscheinend schon eine Weile hier.«
    »Nächste Woche sind es genau anderthalb Jahre.«
    »Im Ernst? Und warum bist du dann nicht mit dem letzten Flüchtlingstransport in die USA abgehauen? Wie man hört, haben sie vor allem Veteranen mitgenommen.«
    »Ja, schon. Aber so einfach ist das nicht. Sie hatten uns einen Platz angeboten, nur um da drüben neu anzufangen, brauchst du Arbeit, Freunde, ein Dach über dem Kopf. Wir haben in Amerika keine Verwandten, die uns aufnehmen könnten. Ich habe von Neuankömmlingen gehört, die auf der Straße verhungert oder von Banden umgebracht worden sind – schreckliche Geschichten. Das will ich meinen Kindern nicht zumuten. Ich warte auf eine Zusage aus Australien. Die müsste eigentlich dieses Jahr noch kommen. Da habe ich Bekannte; das ist sicherer.«
    »Klingt vernünftig.«
    »Jedenfalls herzlich willkommen, Phosy. Schön, dass du in unserer Sektion gelandet bist.«
    »Danke für das Essen.«
    »Gern geschehen.«
    Sie gaben sich die Hand, Bunteuk ging davon, und Phosy sah ihm nach. Selbstsicherer Gang, groß, muskulös: ein Soldat. Ein Soldat, der es abgelehnt hatte, sich und seine Familie außer Landes und in die Freiheit fliegen zu lassen. Ein Soldat, der seiner Heimat nahe bleiben wollte.
    Die Fahrt nach Khong war lang und führte über eine offenbar von Nagetieren angelegte Piste, die den Namen »Straße 13« nicht zu Unrecht trug. Nach dem Nieselregen der vergangenen Nacht war sie so glatt und glitschig, dass der Ausflug zu einer einzigen Rutschpartie geriet. Zum Glück war sie nicht allzu hügelig, und so spielten die kaputten Bremsen erst auf der Fähre nach Vat Phou eine Rolle. Der Kapitän hatte

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