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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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gefährlich dieses Unterfangen war, und schien es als eine Art Urlaubsreise zu betrachten. Nur er wusste, was alles schiefgehen konnte, welch großes Risiko sie auf sich nahmen. Langsam, aber sicher bereute er, sie mitgenommen zu haben. Sie war ein Klotz am Bein und würde ihm nur Ärger machen.
    Der Wagen hielt vor einem offenen Tor, das von zwei unbewaffneten Soldaten bewacht wurde. Phosy und Dtui wechselten verdutzte Blicke. Sie hatten sich so etwas wie die Kriegsgefangenenlager der Nazis vorgestellt, die sie aus dem Kino kannten: hohe, stacheldrahtbewehrte Zäune, Schießtürme und Suchscheinwerfer. Stattdessen schlenderten die Leute gemächlich durch das offene Tor, hier und da schob jemand einen Karren oder trat in die Pedale eines Fahrrads. Die Umzäunung war aus Bambus: einmal kräftig gehustet und geprustet, und sie wäre auf der Stelle eingestürzt.
    Ein Wachposten zeichnete den Laufzettel des Fahrers ab und wies die Neuankömmlinge an, sich in dem großen Unterstand ein paar Schritte weiter registrieren zu lassen. Die Lieferung bestand aus zwölf Personen: drei Ehepaare mit Kindern, Dtui und Phosy ohne. Sie hatten sich auf der Pritsche höflich zugenickt und lediglich ein paar Anstandsfragen gestellt, denn keiner von ihnen war geneigt, wildfremde Menschen an seinen Privatangelegenheiten teilhaben zu lassen. Plötzlich war jeder verdächtig. Schweigend gingen sie den gepflasterten Fußweg entlang, ängstlich und nervös. Sie hatten ihre Welt und ihr vertrautes Elend hinter sich gelassen. Selbst Dtui und Phosy spürten, dass es jetzt kein Zurück mehr gab, dass sie mit ihrer nächsten Unterschrift dem Teufel ihre Seele verkaufen würden.

12
DIE FALSCHE SCHLANGE
    Wie die meisten Konterrevolutionäre bestätigen werden, kann es nicht schaden, hin und wieder dem Tourismus zu frönen, auch wenn man gerade damit beschäftigt ist, eine Staatskrise abzuwenden. Und so kam es, dass Siri und Civilai sich nach durchzechter Nacht mit noch whiskyschwangerem Schädel in einem robusten Willys-Jeep wiederfanden. Daeng hatte den alten Postvorsteher überredet, Siri das Gefährt einen Tag lang zu überlassen. Siri hatte Civilai überredet, sich ihm anzuschließen und obendrein den Chauffeur zu spielen.
    »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist«, sagte Civilai, »zumal …«
    »Ach, halt die Klappe«, brüllte Siri gegen das Brummen des Motors an. »Was sollen wir denn sonst machen? Untätig herumsitzen und darauf warten, dass uns neue Informationen in den Schoß fallen? Wir haben zwei hervorragende Leute, die uns die Kärrnerarbeit abnehmen. Da kommt es auf einen Tag mehr oder weniger nicht an. Du musst dir das so vorstellen: Wir sind die Kommandozentrale. Du bist der Oberkommandeur, und ich bin der Fremdenführer, der für dein geistiges Wohlergehen sorgt.«
    »Natürlich, dass ich darauf nicht von selbst gekommen bin!«
    Kaum hatten sie die erste Straßenecke hinter sich gelassen, fuhren sie durch ein Schlagloch, das so tief war, dass man darin bequem einen Büffel hätte begraben können. Siri hielt sich den Bauch. »Mist.«
    Civilai trat auf die Bremse.
    »Ist dir schlecht?«
    »Schön wär’s.« Siri hob den Saum seines Hemdes und ließ sich das weiße Amulett in den Schoß fallen. Die Schnur aus geflochtenem weißen Haar hatte immer schon ein wenig zerfranst ausgesehen, und nun war sie gerissen.
    »Das wird uns doch wohl nicht in ewige Verdammnis stürzen, oder?«, fragte Civilai.
    »Das glaube ich kaum«, antwortete Siri ohne rechte Überzeugung. »Trotzdem muss ich es in Ordnung bringen lassen.«
    »Kein Problem. Wir halten einfach bei der nächsten Geisterhaar-Reparaturwerkstatt.« Civilai legte knirschend den Gang ein, und nachdem der Wagen ein paarmal gebockt hatte, rollte er in so gemächlichem Tempo dahin, dass ein Fußgänger mit einem Stein im Schuh sie ohne Weiteres hätte überholen können. Siri sah auf den Tacho. Die Nadel rührte sich nicht.
    »Bei der Geschwindigkeit ist das Haar längst nachgewachsen, bevor wir irgendwo ankommen.«
    »Eile mit Weile. Denk an den Hasen.«
    »Wenn ich mich recht entsinne, starb die Schildkröte an Altersschwäche, bevor sie die Ziellinie erreichte.«
    In einer Stadt, in der es praktisch keine Autos gab, war der grüne Militärjeep, der sie verfolgte, eigentlich kaum zu übersehen. Civilai hätte ihn nur dann nicht bemerkt, wenn er in einem Willys ohne Rückspiegel gesessen hätte. Leider war genau das der Fall.
    Sie fanden den einzigen Frisiersalon, der vor acht

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