Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
Stammplatz und stützte das Kinn in die Hände.
Phosy schüttelte Siri die Hand, und Dtui umarmte ihn mit der Wucht eines Sumoringers, dann trat sie einen Schritt zurück und musterte ihn. Er war blutverschmiert und mit blauen Flecken übersät, und um sein lädiertes Ohr schlang sich ein dicker Verband. Seine Kleider waren schlammbraun.
»He, Doc«, sagte Dtui. »Wer hat Sie denn vermöbelt?«
Er schaute Dtui lächelnd an und konnte endlich einmal ein Zitat aus einem Film anbringen, den er vor vielen Jahren in Frankreich gesehen hatte. »Sie sollten den anderen mal sehen.«
Dtui klatschte Applaus, und Phosy drückte ihm ein zweites Mal die Hand. Wieder erhoben sich lauter Jubel und Gelächter, er wurde reihum herzlich begrüßt, doch niemand schien ihm verraten zu wollen, was es eigentlich zu feiern gab.
»Na gut, ich geb’s auf«, sagte er und sank zwischen seinen Freunden aufs Bett. »Was wisst ihr, das ich nicht weiß?«
»Unter uns«, sagte Civilai, »wie es aussieht, ist es uns gelungen, den Putsch zu vereiteln.«
Siri riss ein Auge auf. Das andere blieb verschwollen und zu.
»Was? Das ist ja fantastisch. Wie? Lass hören. Ich bin halb Ohr.«
Während Kumpai nach unten ging, um den gesamten Alkoholvorrat der Stadt Pakxe zu requirieren, erzählten Phosy und Dtui, wie sie vom Flüchtlingslager in Ubon zur Grenze bei Chong Mek gelangt und über einen ausgetretenen Schmugglerpfad nach Laos geflüchtet waren, was sich als wesentlich einfacher erwiesen hatte als die Flucht nach Thailand. Kumpai hatte sie am vereinbarten Treffpunkt in Empfang genommen und heute Morgen nach Pakxe gebracht. Von Bruder Freds Büro aus hatten sie nicht etwa mit dem Gouverneur von Ubon telefoniert, sondern mit Phosys Kontaktleuten in Thailand. Die wiederum hatten Kumpai in Champasak verständigt.
Dtui fand Phosys Schilderung naturgemäß ein wenig trocken, und so flocht sie die eine oder andere Anekdote ein, um die Zuhörer bei Laune zu halten.
»Der Land Rover der Mission war besser als jeder laissez-passer «, sagte sie. »An sämtlichen Kontrollpunkten interessierten die Wachtposten sich vor allem für unsere Diplomaten-Nummernschilder und würdigten Phosy am Steuer und mich auf dem Rücksitz keines Blickes. Mit der Sonnenbrille, die ich im Handschuhfach gefunden hatte, sah ich aus wie die Frau des japanischen Botschafters. Ich brauchte bloß die Nase zu rümpfen, und schon standen diese Bauerntrottel stramm. Ein paar salutierten sogar. Ich konnte es kaum fassen. Es zerriss mir fast das Herz, als uns Kumpai eröffnete, dass wir den Wagen in Thailand stehenlassen mussten. Am liebsten hätte ich mich darin häuslich eingerichtet.«
Der Schnaps kam, und Dtui brachte den ersten von vielen Trinksprüchen aus.
»Auf unsere Republik«, sagte sie und erhob das Glas. Der Toast traf auf hörbare Begeisterung.
Während die Gläser geleert und wieder gefüllt wurden, musterte Siri seinen alten Freund und Kampfgefährten. Civilai feierte kräftig mit, stieß Jubelschreie aus und lachte über jeden Witz. Doch genau wie Siri schien er die grenzenlose Freude und Erleichterung der anderen nicht zu teilen. Civilais Begeisterung war nur gespielt. Siri fragte sich, ob sein Freund dieselbe Enttäuschung verspürte wie er, dasselbe frustrierende Gefühl, versagt zu haben. Doch der Alkohol machte diesen Gedanken rasch zunichte. Er wandte sich wieder der Party zu und ließ sich nachschenken.
»Eins ist mir noch immer nicht ganz klar«, sagte er. »Ihr überquert die Grenze, werdet von Kumpai in Empfang genommen und …«
»Und da komme ich ins Spiel«, fuhr der Gouverneur dazwischen. »Ich war auf ein kleines Tête-à-tête zu meinem vietnamesischen Amtskollegen zitiert worden. Wie es scheint, hatten die Vietnamesen Wind davon bekommen, dass ein Aufstand drohte, der entweder von Pakxe ausging oder doch zumindest dort geplant wurde. Mir wurde nahegelegt, alle Fremden festzunehmen, die sich ohne gültige Papiere in der Stadt aufhielten. Vor ein paar Tagen begannen wir mit der Suche, und wer ging uns vorgestern ins Netz? Ein Geheimagent der laotischen Armee.«
»Das war ich«, sagte Kumpai und hob die Hand. Kumpai war eigentlich Abstinenzler, hatte jedoch beschlossen, heute sei ein guter Tag, um mit dem Trinken anzufangen. Kaum war die Johnnie-Walker-Flasche (das Original, nicht die billige vietnamesische Fälschung) geöffnet, hatte er auch schon angefangen zu lallen. »Sie haben mich hopsgenommen«, brabbelte er und sackte gegen den
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