Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
Kleiderschrank.
»Seine Vorgesetzten in Vientiane bestätigten Hauptmann Kumpais Identität und baten ihn, dem vietnamesischen Sicherheitsberater mitzuteilen, was er wusste. So erfuhren wir, dass Hauptmann Kumpai mit Agenten in Ubon in Verbindung stand.«
»Das waren wir«, sagte Dtui, und sie und Phosy rissen, wie schon ihr betrunkener Vorgänger, die Hände hoch. Jauchzend klatschten sie die Handflächen aneinander. Johnnie Walker wirkte sehr viel schneller als Reiswhisky. Der Gouverneur fiel in seine alte Lehrerrolle zurück und befahl den beiden, sich zu setzen und still zu sein. Grinsend gehorchten sie, und er fuhr fort.
»Als der Hauptmann den fraglichen Anruf erhielt, schickten wir Verstärkung, um Offizier Phosy die Wiedereinreise nach Laos zu erleichtern. Genossin Dtui und er wurden auf schnellstem Wege in meine Dienststelle gebracht. Unsere beiden Helden hier versorgten uns mit einer Unmenge wertvoller Informationen.« Wieder wurde Beifall geklatscht. »Im Zuge unserer Fahndung nach Aufständischen hatten wir außerdem festgestellt, dass Genosse Civilai sich inkognito in Pakxe aufhielt.« Neuerlicher Applaus. Civilai bedankte sich mit einer theatralischen Verbeugung. »Hauptmann Kumpai hatte uns mitgeteilt, weshalb er im Süden weilte, und so haben wir unser Vorgehen mit ihm abgesprochen. Er nannte uns die Namen mehrerer vertrauenswürdiger Regierungsvertreter. Und die Vietnamesen haben ihnen unsere Erkenntnisse dann übermittelt. Dank des dechiffrierten Codes konnten wir bereits eine Reihe führender Rebellen in Gewahrsam nehmen. Was wiederum die Festnahme weiterer Verschwörer im ganzen Land zur Folge hatte.«
»Und wer steckte hinter den Initialen am Anfang des Briefes?«, fragte Siri. »Dem PP?«
»Wie es aussieht, war Phetsarat Ponpaseth an dem Putsch maßgeblich beteiligt.«
»Mist. Und der ist Minister.«
»Seit heute Nachmittag nicht mehr. Wir können davon ausgehen, dass er die Revolutionsregierung anführen sollte. Leider waren unsere Sicherheitskräfte nicht schnell genug. Er konnte sich der Festnahme entziehen und ist zusammen mit ein oder zwei anderen Generälen auf der Liste untergetaucht.«
»Sie sind vermutlich geflohen, als sie erfuhren, dass die Einsatzzentrale in Ubon entdeckt worden war«, sagte Civilai.
»Es sieht ganz danach aus«, fuhr Katay fort. »Aber trotz dieses kleinen Rückschlags versichert mir mein vietnamesischer Amtskollege, Hanoi und Vientiane seien sich einig, dass die Putschgefahr gebannt ist.«
In dem kleinen Zimmer erhob sich spontaner Jubel, gefolgt von ungestümen Umarmungen und reichlich Schulterklopfen. Trotz der mitreißenden Stimmung kam Siri sich immer noch wie ein bloßer Beobachter vor, der versehentlich in eine Siegesparade geraten ist. Er missgönnte ihnen ihre Feier keineswegs. Gewonnen war gewonnen. Aber er bedauerte, dass Daeng nicht dabei sein konnte. Schließlich verdankten sie ihr den Hinweis auf das Lager in Ubon. Es war also auch ihr Sieg. Er hatte sie von einem Rikschafahrer suchen lassen, doch sie war nicht in ihrem Häuschen. Er dachte zurück an jenen letzten Abend im Savannaketh des Jahres 1945, den Abend, an dem sie auf die Unabhängigkeit ihres geliebten Vaterlandes getrunken hatten. Er wusste noch genau, welche Gefühle ihn damals bewegt hatten, und er fragte sich, weshalb er jetzt nichts dergleichen empfand. Vielleicht war es das Alter.
Er wäre gern mit Civilai allein gewesen. Er hatte noch die eine oder andere Frage, die ihm nur sein Freund beantworten konnte, doch leider erlaubten es die Umstände den beiden Brüdern an diesem Abend nicht, sich ungestört zu unterhalten. Da war zunächst das ständige Geplapper, dann der anhaltende Strom von Kommunalbeamten und Militärs, die mit den neuesten Nachrichten kamen und partout nicht wieder gehen wollten. Und dann war da der Whisky. Laotischer Reiswhisky führte zu eindeutigen Symptomen, die es ratsam machten, das Trinken unverzüglich einzustellen: Sehstörungen, Erbrechen, akute Flatulenz. Doch diese heidnischen Schotten hatten ein Gebräu entwickelt, das einen Mann verführte und ihn buchstäblich zwang, sich besinnungslos zu saufen. Nicht lange, und er fand sich mit einem beduselten Grinsen im Gesicht auf dem Rücken eines gigantischen Adlers wieder, der hoch über den Wolken schwebte. Er war sich seiner selbst so sicher, dass er, noch als sich der Adler – puff! – in Luft auflöste und er in rasender Geschwindigkeit auf die kargen, zerklüfteten Berge der schottischen
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