Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
Fernsprecher gibt, nicht wahr? Beim Radio, bei der Armee?«
»Ja.«
»Und?«
»Du weißt es doch sowieso schon.«
»Trotzdem.«
»Du bist lediglich ein Mal im Bureau de Poste gesehen worden, und zwar gestern. Sehr viele Telefonate hast du anscheinend nicht geführt.«
»Das heißt?«
»Das heißt zum Beispiel, dass du von Anfang an gelogen hast. Du hast mitnichten deine ›Kontakte‹ spielen lassen. Vielmehr hast du deine Putschistenfreunde gewarnt, damit sie rechtzeitig die Stadt verlassen konnten. Das heißt, du hast nicht nur dein Vaterland verraten, sondern auch mich – oder vielmehr uns.«
»Verrat ist ein relativer Begriff. Du solltest das Ganze vielleicht eher als Schutzmaßnahme betrachten. Nach dem Motto: Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Na, lindert das den Schmerz ein wenig, kleiner Bruder?«
Siri lachte. »Schutzmaßnahme? Wie nett von dir. Ich fälsche ein ärztliches Attest, damit du dir ein paar Tage Urlaub genehmigen kannst. Du stellst angeblich eine groß angelegte, geheime Konterrevolution auf die Beine, während es dir in Wahrheit einzig und allein darum geht, dich zu verstecken. Du spielst auf Zeit und sorgst ganz nebenbei dafür, dass ich deinen Putschisten nicht in die Quere komme. Und vor wem wolltest du mich eigentlich beschützen?«
»Vor deinem ärgsten Feind.«
Siri stand auf und verstellte Civilai den Blick auf die Wolken.
»Deine Überheblichkeit kannst du dir sparen. Du weißt genau so gut wie ich, dass du nicht meinet wegen hier bist. Verflucht noch mal, du hast es sogar geschafft, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, weil ich mich in deine ›Amtsgeschäfte‹ eingemischt habe. Ich dachte die ganze Zeit, du bist nur deshalb so schlecht gelaunt, weil ich wieder einmal alles falsch mache. Herrgott, ich habe mich sogar entschuldigt. Dabei war nicht ich für deine Miesepetrigkeit verantwortlich, sondern du, du ganz allein. Was, zum Henker, hast du dir bloß dabei gedacht?«
Er wartete auf eine Antwort, doch Civilai hielt den Blick gesenkt. Siri erhob die Stimme. »Das war keine rhetorische Frage. Ich will wissen, was du dir dabei gedacht hast.« Civilai schwieg beharrlich. »Verdammt noch mal. Nun kennen wir uns schon so viele Jahre, und dann das?«
Endlich ließ Civilai sich in die Augen sehen. Sie waren feucht und leer, wie die eines Fisches hinter Glas.
»Na prima«, sagte er. »Dann hast du also alle Puzzleteile beisammen. Ich hatte schon befürchtet, dass du früher oder später dahinterkommen würdest.«
»Und ob ich alle Puzzleteile beisammen habe. Ich hätte auf dieses Gespräch gern verzichtet, wenn ich nicht hundertprozentig sicher gewesen wäre, dass du deinen greisen Verstand verloren hast. Ich saß bei Daeng und ließ mir die ganze Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen. Es gab einfach zu viele offene Fragen, die mit der allzu sauberen Lösung des Konfliktes nur schwer in Einklang zu bringen waren. Ich fragte mich, wie du mit Vientiane hattest telefonieren können, wo es im Hotel doch gar keinen Fernsprechapparat gab. Ich fragte mich, warum du dich partout nicht mit den Vietnamesen ins Benehmen setzen wolltest. Angeblich um zu verhindern, dass sie noch größeren Einfluss gewinnen als ohnehin schon. Dabei hatten sie von allen Beteiligten das stärkste Interesse daran, die Thais aus der Sache herauszuhalten. Zugegeben, es war die Ultima Ratio, aber ich dachte, in der Not frisst der Teufel Fliegen.«
»Dann hast du sie verständigt?«
»In der Tat.«
»Dass du dich aber auch ständig in Dinge einmischen musst, die dich nichts angehen. Hatte ich dich nicht ausdrücklich gewarnt?«
»Meine Einmischung hat womöglich eine Menge unnützes Blutvergießen verhindert.«
»Mein Held.«
»Dann habe ich mir den Brief noch einmal angesehen. Eine Passage wollte mir nach wie vor nicht einleuchten. Daeng verwies mich an einen alten Franzosen aus der Umgebung, einen gelernten Dolmetscher. Er hat für die Besatzer gearbeitet, danach ein laotisches Mädel geheiratet und sich hier niedergelassen. Er hat mir einen Schnellkurs in Transkription erteilt.«
»Verschon mich.«
»Kommt nicht in Frage. Ich habe jede Menge Munition und sonst niemanden, den ich erschießen könnte. Also leide! Wir Laoten haben nur selten Gelegenheit, unseren Namen in lateinischer Umschrift zu sehen. Der Franzose erklärte mir, dass die meisten Civilais, die für Ausländer arbeiten oder in Übersee studieren, ihren Namen mit S schreiben. Und nur diejenigen, die sich für
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