Briefe aus dem Gefaengnis
hohen technologischen Standards in Russland ist heute die wichtigste Voraussetzung für den Machterhalt der Asketen«? Weit gefehlt. Die Hauptvoraussetzung ist die Stärkung, die Stärkung und noch mal die Stärkung der Machtvertikale (Armee, Flotte, Sicherheitsorgane, Medien).
Wer hat behauptet, »der Totalitarismus in einem großen europäischen Land des 21. Jahrhunderts macht das Leben beschwerlich und nach kurzer Zeit perspektivlos«? Das stimmt vielleicht für den einfachen Kleinbürger und für den Kleinbürger aus der Intelligenz, aber für den Komfort eines der Mächtigen ist der Totalitarismus keineswegs ein Hindernis (vorausgesetzt, er bleibt in vernünftigen Grenzen und schlägt nicht in Großen Terror um).
Es ist traurig, aber sie fürchten noch nicht einmal den Zerfall des Landes. Hauptsache, es gelingt ihnen, auf den Ruinen ihre monopolistische und unwidersprochene Macht zu erhalten. Sie haben vor NICHTS Angst außer vor dem Verlust der Macht. Sie sind das Hirn und die Seele der Nation. Der Körper der Nation kann an Dystrophie sterben, sich mit Furunkeln bedecken – in der schlechten sozialen Atmosphäre ersticken, solange das Hirn und der Geist funktionieren, ist der Organismus lebendig.
Es gibt nur eine einzige Hoffnung auf eine Beendigung dieser Orgie: die Hoffnung auf eine Spaltung innerhalb der Elite, auf die Schizophrenie der Macht. Ein neuer Gorbatschow muss kommen (oder vielleicht gleich ein Jelzin), ein Mann, der Autorität hat, dem es missfällt, über Knechte zu regieren, dem die Macht allein nicht ausreicht, der darüber hinaus auch noch Ruhm haben will. Woher solche Leute kommen, weiß der Himmel. Sie erscheinen zwar selten in Russland, aber regelmäßig. Ich weiß nicht, ob die Wirtschaftskrise das Erscheinen eines solchen Kometen begünstigt, kann es aber auch nicht ausschließen. Warten wir also ab. Wie Sie sehen, habe auch ich einen gewissen Optimismus (»mit Tränen in den Augen«).
Ein gutes Neues Jahr! Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Gesundheit, Gelingen, Erfolg und vor allem: die Freiheit!
Verehrter Boris Natanowitsch!
Ich möchte Ihnen zu der Verfilmung Ihres Buchs »Die bewohnte Insel« 76 gratulieren. Der Film kommt genau zur rechten Zeit, und er entspricht dem Roman sehr viel mehr als der Film »Die Zauberer«, der eine Verfilmung Ihres Werks »Der Montag beginnt am Samstag« sein sollte. Hören Sie nicht auf das Gemecker, es zeugt nur von der Aktualität des Themas. Die Ähnlichkeit zwischen dem, was in dem Roman beschrieben wird, und dem, was zurzeit in Russland geschieht, ist nicht zu übersehen.
Was unsere Diskussion betrifft, so möchte ich hervorheben: Wenn ich Ihrer Meinung nach ein hoffnungsloser und unverbesserlicher Optimist bin, dann sind Sie kein Pessimist, sondern ein Skeptiker hoch drei. Ich habe schon ein skeptisches Verhältnis zur Macht, aber Sie …
Vielleicht können unter bestimmten Bedingungen Vertreter der Elite, denen es, wie Sie sagen, »missfällt, über Knechte zu regieren, und denen die Macht allein nicht ausreicht, die darüber hinaus auch noch Ruhm haben wollen«, die Führung übernehmen. Oder die, denen die Macht ausreicht, können zu solchen werden, die auch noch nach Ruhm streben. Aber vorläufig liegt das in weiter Ferne: glauben Sie mir das, ich kenne viele von ihnen recht gut. Was Ihren Gedanken, positive Änderungen »von oben« seien ausschließlich bei einer »Spaltung« der Elite zu erwarten, nicht weniger zutreffend macht. Da stimme ich hundertprozentig zu. Deshalb unterstütze ich (wie auch Sie, soweit ich weiß) die Beteiligung der Liberalen an der Macht und die Suche nach Kompromissen wie im Fall der Partei »Die gerechte Sache« 77 . Dafür ernte ich Kritik, bleibe aber bei meiner Einstellung.
Ich hoffe, Ihre Meinung bringt einige der »Unversöhnlichen« unter unseren Leuten dazu, dieses Problem anders zu beurteilen. Obwohl es auch Unversöhnliche geben muss, sonst wird unsere Gesellschaft noch serviler. Was den »Optimismus mit Tränen in den Augen« betrifft: Wenn Sie ihn sich in den sowjetischen Zeiten bewahrt haben, dann ist er
jetzt erst recht angebracht. Die Situation ist ja sehr viel entspannter als früher. Sowohl, was den Zugang zur Information angeht (in dieser Hinsicht sind die Möglichkeiten mit der Vergangenheit einfach nicht zu vergleichen), als auch, was die Gegnerschaft gegenüber dem Westen betrifft, die bei aller antiwestlichen Rhetorik der Behörden doch sehr viel geringer ist als zur
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