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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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indem man sie unbeachtet läßt, nicht darstellt, umgeht. Die Großnasen können nicht um gehen. Wenn man alle vorhandenen Töne in einem fort gleichzeitig spielt, so ergibt das kein Lied, obwohl die Töne des Liedes in den gespielten Tönen enthalten sind. Aber so sind die Großnasen: sie spielen alle Töne und postulieren, ein Lied gehört zu haben.
    Dabei ist nicht zu leugnen, daß gewisse Bilder mir schon einen sehr großen Eindruck gemacht haben. Sadistischerweise können sie sich nicht genug damit tun, die Martern ihres Gottes darzustellen. Es ist sehr auffällig. In hundert Variationen wird gezeigt, wie er an Holzbalken genagelt wird oder angenagelt dort hängt. (Überhaupt sind Unglücksfälle und Katastrophen, Kriegsgetümmel, Erdbeben, Ungewitter und alles Unschöne bevorzugte Gegenstände für die großnäsischen Maler.) Das muß man ohne Diskussion voraussetzen. Da war dann ein Gemälde (sie malen übrigens meist auf Holz oder fest gespannte Leinwand mit fetthaltigen Farben) von einem Meister Ti-tsi-tsa, ein sehr großes Gemälde, das stellte dar, wie jener bedauernswürdige Gott von Henkersknechten mit einer Spottkrone aus Dornen gekrönt wird. Abgesehen vom unerfreulichen Gegenstand, beeindruckte mich dieses Bild, weil mir dieser Meister Ti-tsi-tsa (und später noch einer, dessen Namen für mich unaussprechlich ist) erfaßt zu haben schien, daß das Unfaßbare nur durch Weglassen dargestellt werden kann. Ich saß lange vor dem Gemälde und betrachtete es. Neunundneunzig Jahre alt ist Meister Ti-tsi-tsa geworden. (Er hat vor etwa vierhundert Jahren gelebt.) Dieses Bild mit der Spottkrone hat er in seinen letzten Lebensjahren gemalt. Wahrscheinlich hat er so lang gebraucht, um diesen einfachen Grundsatz zu erfassen. Aber immerhin ist das bemerkenswert, und ich meine aus dem Gemälde zu lesen, daß er sich darum in der Welt der Großnasen fremd vorkam.
    Das gleiche gilt von dem anderen Maler, der zwar auch nicht ungern Katastrophen darstellte, daneben meist ausgesprochen unschöne Menschen, namentlich sich selber, aber eine eigenartige Weise erfunden hat, wie er trotz Ausmalen der Bilder bis zum Rand das zwanghafte Alles-erfassen-Müssen umgehen konnte: er tauchte die dargestellten Szenen in Dunkelheit. Es herrscht auf seinen Bildern immer grauenvolle Nacht, und die Menschen schauen daraus hervor wie erschreckte Gespenster. Dieser Meister hat vor dreihundert Jahren in einem nördlichen Land gelebt, und ich bin sicher, daß er sich vor dieser Welt der Großnasen gefürchtet hat.
    Ein weiterer, äußerst beliebter Gegenstand der großnäsischen Malerei sind nackte Menschen. Herr Te-cho, der mir das alles zeigte und zu erklären versuchte, sagte, daß das »die alten Götter« seien. Ganz verstanden habe ich es nicht. Es scheint so gewesen zu sein, daß die Großnasen früher, vor vielen hundert oder gar tausend Jahren an nackte Götter geglaubt haben. Der – im Übrigen auch immer fast nackte – an den Balken genagelte Gott hat dann etwa zu Beginn unserer Östlichen Han-Zeit jene alten Götter vertrieben. Die Gemälde der nackten alten Götter stammen aber ausnahmslos aus späterer Zeit; wie das zu erklären ist, weiß ich nicht. Es sind vielfach, ja sogar mit Vorliebe, nackte Göttinnen dargestellt. Die Erscheinungen sind durchwegs sehr erfreulich, und die eine oder andere dieser Göttinnen hat mich an Frau Pao-leng erinnert, die mich ja auch ab und zu mit ihrem diesbezüglichen Anblick erfreut. Selten sieht man Blumen dargestellt. Wenn, dann in absichtlich unaufgeräumter Anordnung.
    Trotz allem war ich natürlich Herrn Te-cho sehr dankbar für dieses Erlebnis und alle Erklärungen. Wir aßen, nachdem wir das Kunst-Gebäude verlassen hatten, in einem öffentlichen Speisehaus, und danach verabschiedete ich mich mit einer und einer halben Verbeugung von ihm.
    Die Großnasen haben übrigens auch noch eine andere Art, Bilder zu malen. Das geht mittels eines komplizierten Mechanismus in einem schwarzen Kästchen. Man drückt auf Knöpfe (wieder einmal Knöpfe!) und bringt das Kästchen dann in einen speziellen Laden, und nach einiger Zeit bekommt man das Kästchen und kleine, glänzende Bilder auf Papier zurück, auf denen man erstaunlicherweise die Dinge sieht, die damals vorhanden waren, als man auf die Knöpfe gedrückt hat. Es ist keine Kunst, dieses Kästchen zu bedienen. Frau Pao-leng hat eins, und ich selber habe schon auf die Knöpfe gedrückt, während Frau Pao-leng in dem weithinleuchtenden

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