Briefe in die chinesische Vergangenheit
der gewerbsmäßige Fürsprecher in seinem Auftrag. An und für sich ist dieses Ansinnen nicht unbillig, denn zum einen war ich ja wirklich schuld an der Zerstörung seines A-tao-Wagens, zum anderen hat mir die Tatsache, daß jener Herr nicht über mich hin, sondern gegen den Baum fuhr, das Leben gerettet. Aber der Brief, den mir der gewerbsmäßige Fürsprecher schrieb, ist selbst für großnäsische Begriffe, an die ich mich sonst langsam gewöhnt habe, außerordentlich unhöflich. Der gewerbsmäßige Fürsprecher verlangt nicht weniger als den Gegenwert von zehn Silberschiffchen. Kä-w’ heißt der Fürsprecher. Wie jeder Mensch, der plötzlich mit Gerichtssachen zu tun bekommt, erschrak ich zutiefst über den Brief. Aber jetzt habe ich mich gefaßt, und ich denke, wenn es gelingt, die Sache etwas hinzuziehen, dann bin ich fort und unauffindbar, und der Herr und sein unhöflicher Kä-w’ können sehen, wie sie das Geld bekommen.
Nun muß ich gestehen, daß das ein unmoralischer Standpunkt ist, denn ich habe ja dem Herrn wirklich Schaden zugefügt. Aber ich sage mir: jeder A-tao-Wagen weniger ist ein Segen für die Großnasen. Also zahle ich nichts. Das ist meine moralische Rechtfertigung, und die restlichen Silberschiffchen und die fünf schönverzierten Goldbecher (meine eiserne Reserve) hinterlasse ich lieber Herrn Shi-shmi. Im Übrigen werde ich die Angelegenheit mit Herrn Richter Me-lon besprechen, dessen Gewerbe das alles ja ist.
So grüße ich Dich, mein ferner Freund; von Tag zu Tag rückt der Augenblick unseres Wiedersehens näher.
Ich bin Dein Kao-tai
Zweiunddreißigster Brief
(Mittwoch, 22. Januar)
Teurer Dji-gu,
ich danke Dir für Deinen langen und ausführlichen Brief. Ich will auf alles das, was Du schreibst, nicht mehr eingehen, denn es dauert ja nur noch kurze Zeit, bis ich wieder daheim bin. Du brauchst keine großen Anstrengungen mehr in der Fürsorge für meine Angelegenheiten aufzuwenden, denn Du kannst allen sagen: ich hätte geschrieben, kurz nach dem letzten Wintervollmond käme ich zurück. Es gibt nichts mehr, was so dringend wäre, daß es nicht von jetzt bis dahin warten könnte.
Inzwischen war auch Kleine Frau Chung wieder da. Es ist schon merkwürdig. Erst führt sie sich auf wie ein fauchender Salamander, dann sitzt sie in der Halle des Hong-tels und schnurrt, als ich (zum Glück allein) hereinkomme. Ich brauchte weder Ring noch Armreif, noch Blumen kaufen. Ich bin nicht geizig, wie Du weißt, aber ich bin ganz dankbar, diese Ausgabe vermeiden zu können, denn der Vorrat meiner Silberschiffchen geht zur Neige, und ich möchte bis zum Ende meines Aufenthalts hier nur sehr ungern auf meine Da-wing-do-Brandopfer und auf den köstlichen, kühlen Mo-te Shang-dong verzichten. Es ist nämlich nicht so, mußt Du wissen, daß dieser Mo-te Shang-dong das allgemeine Getränk der Großnasen ist – weit gefehlt. Nur die Reichen trinken es, und dank der Silberschiffchen, die ich mitgenommen habe, kann ich hier leben wie ein Reicher. Anders wäre es mir auch äußerst unangenehm. Die Armen oder selbst die einfacheren Leute trinken keinen Mo-te Shang-dong oder allenfalls sehr selten. Dabei ist es ganz schwer zu unterscheiden, wer hier in der Großnasenwelt arm und wer reich ist. An der Kleidung ist es kaum zu erkennen, Rangabzeichen gibt es so gut wie gar nicht. Selbst die Minister – ich habe neulich noch einen weiteren gesehen außer dem meineidigen Südbarbaren Chi’ Man-man – sind äußerlich nicht von irgendwelchen Lastenträgern zu unterscheiden. (Der Minister hat, was niemanden zu erstaunen schien, auf einem öffentlichen Platz vor einer eher kläglichen Anzahl von Zuhörern geschrien. Es findet nämlich die Auswahl statt, aber davon später.) Wahrscheinlich ist es der Neid und die Kehrseite des Neides: die Angst vor Anwürfen der Neider, die die Großnasen veranlaßt, sich nahezu einheitlich zu kleiden. Prächtige Gewänder, bestickte Mäntel, goldbesetzte Mützen und dergleichen gibt es gar nicht. Alle kleiden sich gleich: grau, mattblau (Tschinx heißt diese Kleidung), braun, grünlich oder, am allerliebsten, in einer Mischung aus allen Farben, was eine Nicht-Farbe zwischen grau, braun und grün ergibt. Etwas farbenfroher sind die Weiber, sofern sie kühn sind in diesen Dingen. Zu bunt gilt allerdings auch schon wieder als frech. Schmuck tragen fast nur Frauen und meist auch nicht sehr viel.
Die Großnasen zeigen es nicht gern, wenn sie reich sind. Dabei sind die Straßen,
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